Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden. Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Integritätsinteresse. Wille zur Weiterbenutzung bei Reparaturbeginn. Wirtschaftlichkeitsgebot. Verbot der Bereicherung. Kaufangebot erst nach der Reparatur. Nutzung des Fahrzeugs mindestens sechs Monate nach dem Unfall. Darlegungs- und Beweispflicht für Weiterbenutzungswillen

 

Leitsatz (amtlich)

Der Geschädigte, der Ersatz des Reparaturaufwands über dem Wiederbeschaffungswert verlangt, bringt sein für den Zuschlag von bis zu 30 % ausschlaggebendes Integritätsinteresse regelmäßig dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt.

Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 28.02.2007; Aktenzeichen 3 S 11/06)

AG Mainz (Entscheidung vom 10.01.2006; Aktenzeichen 72 C 379/05)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Mainz vom 28.2.2007 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 30.4.2005, bei dem sein Pkw VW Golf I Cabriolet, Erstzulassung Juli 1991, im Heckbereich beschädigt wurde. Die volle Haftung der Erstbeklagten als Fahrerin und der Zweitbeklagten als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Der vom Kläger beauftragte Kfz-Sachverständige C. schätzte die Reparaturkosten auf 3.093,58 EUR zzgl. Mehrwertsteuer, den Wiederbeschaffungswert auf 3.000 EUR einschließlich Mehrwertsteuer und den Restwert auf 500 EUR. Am 16.6.2005 veräußerte der Kläger das Fahrzeug an einen Kaufinteressenten in Hamburg.

[2] Der Kläger hat behauptet, er habe das Fahrzeug in der Zeit vom 17. bis 21.5.2005 durch den Zeugen D. auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ordnungsgemäß und fachgerecht reparieren lassen. Vor der Reparatur habe er nicht die Absicht gehabt, den Pkw alsbald zu veräußern. Er sei jedoch am 16.6.2005 auf offener Straße von dem Kaufinteressenten angesprochen worden. Dieser habe ihm ein fantastisches Kaufangebot unterbreitet, das er als wirtschaftlich und verständig handelnder Mensch angenommen habe.

[3] Der Kläger verlangt Schadensersatz auf der Basis der von dem Sachverständigen ermittelten Netto-Reparaturkosten nebst einer Nutzungsausfallentschädigung von 215 EUR, Sachverständigenkosten von 443,12 EUR, einer Kostenpauschale von 25 EUR sowie den Kosten für eine Nachbegutachtung i.H.v. 76,56 EUR (insgesamt 3.853,26 EUR). Die Beklagte zu 2) hat auf der Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens reguliert und den Wiederbeschaffungswert abzgl. des Restwertes (2.500 EUR), die Kosten der Erstbegutachtung sowie die Kostenpauschale ersetzt (insgesamt 2.968,12 EUR).

[4] Das AG hat die auf Zahlung des Differenzbetrages von 885,14 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

I.

[5] Das Berufungsgericht billigt dem Kläger einen Ersatzanspruch nur in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands zu. Es führt aus, nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden könne der Geschädigte zwar grundsätzlich Ersatz des Reparaturaufwands bis zur Grenze von 130 % des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs verlangen, wenn die Reparatur fachgerecht und vollständig durchgeführt werde. Der sog. Integritätszuschlag von 30 % sei jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur auch tatsächlich weiter benutzen wolle, nicht dagegen, wenn er von vornherein die Absicht habe, es danach alsbald zu veräußern. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Wille zur Weiterbenutzung des Fahrzeugs bei Reparaturbeginn vorgelegen habe, trage der Geschädigte. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger seinen Pkw schon etwa vier Wochen nach der Reparatur verkauft habe, hätte es im Streitfall näheren Vortrags dazu bedurft, wie es zu dem von ihm behaupteten "Sinneswandel" gekommen sei. Daran fehle es hier, da der Kläger den Inhalt des behaupteten Kaufangebots nicht mitgeteilt habe. Zudem sei der Vortrag dazu auch verspätet und deshalb nicht zuzulassen. Die beantragte Parteivernehmung des Klägers sei nicht zulässig, da die Beklagten ihr widersprochen hätten und es auch an dem erforderlichen Anfangsbeweis dafür fehle, dass der Kläger das Kaufangebot erst nach der Reparatur erhalten habe.

II.

[6] Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

[7] 1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Reparatur des Fahrzeugs fachgerecht und in einem Umgang durchgeführt worden ist, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Von diesem Sachverhalt ist für das Revisionsverfahren auszugehen.

[8] 2. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Geschädigte in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz des Reparaturaufwandes bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangen (BGH BGHZ 115, 363, 371; 162, 161, 166; v. 8.12.1998 - VI ZR 66/98, VersR 1999, 245, 246; v. 17.3.1992 - VI ZR 226/91 -, a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm NZV 1991, 351, 352 = DAR 1991, 333, 334; Medicus, Jus 1973, 211, 212; Weber, DAR 1991, 11). Mit den schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung (vgl. BGH BGHZ 154, 395, 397 f.) ist es grundsätzlich vereinbar, dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, Kosten der Instandsetzung zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30 % übersteigen (BGH BGHZ 115, 364, 371). Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (vgl. Jordan, VersR 1978, 688, 691), zumeist unbekannt. Dass ihnen ein wirtschaftlicher Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus "erster Hand" regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird (vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1998 - VI ZR 66/98 -, a.a.O.).

[9] 3. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30 % ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Für die Fälle, in denen der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt und der Geschädigte sein Fahrzeug zunächst weiter nutzt, später aber veräußert, hat der erkennende Senat entschieden, dass ein Anspruch auf Ersatz der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts besteht, wenn der Geschädigte das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168, 43, 47 f.). Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ist für Fälle der vorliegenden Art grundsätzlich nicht anders zu beurteilen. Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.

[10] 4. Solche besonderen Umstände sind nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen vorliegend nicht gegeben.

[11] a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, den Kläger treffe die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er den Willen zur Weiterbenutzung seines Fahrzeugs gehabt habe. Nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und ggf. zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 14.2.2006 - VI ZR 126/05, VersR 2006, 669, 670; Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., § 249 Rz. 1). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der als Ersatz verlangte Geldbetrag objektiv zur Wiederherstellung i.S.d. § 249 BGB erforderlich ist, trägt mithin der Geschädigte (vgl. BGH BGHZ 54, 45, 47; v. 10.2.1987 - VI ZR 17/86, VersR 1987, 668; v. 21.1.1992 - VI ZR 142/91, VersR 1992, 457; v. 4.4.2006 - VI ZR 338/04, VersR 2006, 852, 854; BGH, Urt. v. 22.10.1987 - III ZR 197/86, NJW-RR 1988, 410; v. 23.10.1991 - XII ZR 144/90, NJW-RR 1992, 202). Verlangt er nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden Ersatz des den Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeugs übersteigenden Reparaturaufwands, muss er im Rechtsstreit ggf. den Nachweis erbringen, dass die Voraussetzungen für eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis vorliegen. Da ihm diese Möglichkeit bei einem wirtschaftlichen Totalschaden nur dann offen steht, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall deshalb wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen, ist er dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass dieser Nutzungswille vorgelegen hat (OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1620, 1622).

[12] b) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger habe angesichts der Tatsache, dass er seinen Pkw schon knapp vier Wochen nach Abschluss der Reparatur veräußert habe, nicht hinreichend dargetan, dass er die Absicht gehabt habe, das Fahrzeug weiter zu benutzen. Diese tatrichterliche Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Allerdings sind an den Nachweis des Weiterbenutzungswillens, für den das Beweismaß von § 287 ZPO gilt, nur maßvolle Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1620, 1622; OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Hamm, ZfSch 1995, 415, 416). Dass das Berufungsgericht dies verkannt habe, ist nicht ersichtlich und wird von der Revision auch nicht geltend gemacht. Soweit sie meint, der Kläger habe substantiiert dargelegt, dass er entgegen seiner ursprünglichen Absicht der Weiterbenutzung des Fahrzeugs dieses aufgrund eines nicht vorhersehbaren Kaufangebots veräußert habe, verkennt sie, dass der Kläger, worauf das Berufungsgericht mit Recht hinweist, keine näheren Angaben zum Inhalt des von ihm behaupteten Kaufangebots vorgetragen hat. Bei dieser Sachlage brauchte das Berufungsgericht seinem Vortrag zu dem von ihm in Anspruch genommenen Integritätsinteresse nicht nachzugehen, zumal es dafür auch an einem zulässigen Beweisantrag fehlte. Die Voraussetzungen für die vom Kläger beantragte eigene Parteivernehmung lagen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nicht vor (§§ 447, 448 ZPO). Dem Antrag auf Zeugenvernehmung des Kaufinteressenten konnte schon deshalb nicht entsprochen werden, weil der Kläger dessen Anschrift nicht rechtzeitig, sondern erst - durch Vorlage einer Kopie des Kaufvertrages - mit dem am 16.2.2007 nach Ablauf der ihm gewährten Schriftsatzfrist (13.2.2007) eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt hat.

III.

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1849887

NJW 2008, 437

BGHR 2008, 219

EBE/BGH 2008, 11

ZAP 2008, 126

DAR 2008, 79

MDR 2008, 204

VRS 2008, 91

ZfS 2008, 143

KfZ-SV 2008, 28

NJW-Spezial 2008, 42

RÜ 2008, 162

SVR 2008, 103

VRA 2008, 20

VRR 2008, 103

ZGS 2008, 73

r+s 2008, 35

DS 2008, 96

autorechtaktuell 2008, 3

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