I. Versicherungsfall

1. Bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen gegen einen Versicherer richtet sich die Festlegung des Rechtsschutzfalles allein nach der behaupteten Pflichtverletzung des Anspruchsgegners, auf die der Anspruch gestützt wird; dies gilt auch für den Passivprozess. Der BGH hat seine frühere Rechtsprechung zur Bestimmung des Versicherungsfalles aufgegeben und ausgeführt, dass nur auf denjenigen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften abzustellen ist, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner anlastet.[9]

Wenn der Versicherungsnehmer noch Jahre nach Abschluss eines Versicherungsvertrages von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, liegt der maßgebliche Verstoß in der Weigerung des Versicherers, das Widerspruchsrecht anzuerkennen, und nicht in der behaupteten mangelhaften Information bei Vertragsschluss.[10]

2. Widerruft der Versicherungsnehmer wegen einer unzureichenden Widerrufsbelehrung einen Darlehensvertrag, ist der Versicherungsfall mit der Weigerung des Darlehensgebers eingetreten, den Darlehensvertrag rückabzuwickeln.[11]

3. Der Versicherer kann bei mehreren Versicherungsfällen seine Eintrittspflicht auf den ersten Versicherungsfall wirksam beschränken. Er ist daher nicht eintrittspflichtig, wenn der erste Versicherungsfall vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten ist.[12]

4. Das Rückzahlungsverlangen eines Haftpflichtversicherers wegen einer vermeintlich zu Unrecht erbrachten Schadenersatzleistung unterliegt dem Schadenersatz-Rechtsschutz. Im Schadenersatz-Rechtsschutz ist zwar nur die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vom Deckungsschutz umfasst, nicht jedoch deren Abwehr. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Versicherungsnehmer auf Rückzahlung von Schadenersatzleistungen in Anspruch genommen wird, da es sich insoweit um die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen handelt.[13]

5. Die Vorerstreckungsklausel von § 4 Abs. 3a ARB ist intransparent und nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Für die Festlegung des Versicherungsfalles ist entscheidend der Tatsachenvortrag, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt kommt dabei das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch herleitet. § 4 Abs. 3a ARB 2008 enthält eine selbstständige Leistungsausschlussklausel, die Zweckabschlüssen entgegenwirken soll.

Der Versicherungsnehmer hatte einen Darlehensvertrag widerrufen, die Bank weigerte sich, diesen Widerruf anzuerkennen. Der Rechtsschutzversicherer berief sich darauf, dass der Darlehensvertrag vor Abschluss des Rechtsschutzvertrages abgeschlossen worden sei. Der BGH sah den Versicherungsfall darin, dass die Bank die Rückabwicklung des Darlehensvertrages abgelehnt hatte.[14]

6. Bei der Arzthaftung ist Versicherungsfall die fehlerhafte ärztliche Behandlung.

Der BGH führt aus, dass für die Bestimmung des Rechtsschutzfalles der Tatsachenvortrag entscheidend ist, mit dem der Versicherungsnehmer den Pflichtenverstoß begründet. Die fehlerhaft ärztliche Behandlung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als der Vertrag mit der Rechtsschutzversicherung bestand.[15]

7. Im Räumungsprozess ist die Kündigung der Versicherungsfall, es kommt nicht auf die Gründe an, die zur Kündigung geführt haben.[16]

[9] BGH, IV ZR 195/18, r+s 2019, 461 = VersR 2019, 1412; BGH, IV ZR 11/18, MDR 2019, 1061 = zfs 2019, 512; OLG Köln, 9 U 54/19, NJW-RR 2020, 604.
[10] BGH, IV ZR 23/12, r+s 2013, 283; BGH, IV ZR 214/14, r+s 2015, 193 = VersR 2015, 485 = MDR 2015, 462; Schaltke, VersR 2016, 573 ff.; van Bühren, zfs 2016, 310 ff.
[11] BGH, IV ZR 200/16, VersR 2018, 992 = r+s 2018, 426 = zfs 2018, 520; OLG Köln, 9 U 159/15, zfs 2016, 335 = VersR 2018, 995; OLG Köln, 9 U 251/15, VersR 2017, 484; OLG Köln, 9 U 40/17, r+s 2018, 73.
[12] OLG Hamm, 6 U 97/17, VersR 2018, 418 = zfs 2018, 696.
[13] OLG Saarbrücken, 5 U 33/17, zfs 2018, 279 = VersR 2018, 1062.
[14] BGH, IV ZR 200/16, VersR 2018, 992 = r+s 2018, 426 = zfs 2018 = MDR 2018, 1121.
[16] OLG Köln, 9 U 54/19, zfs 2020, 637.

II. Schadenminderungsklausel

Die Schadenminderungsklausel des § 17 Abs. 1c bb ARB 2010 ist ebenso unwirksam wie die Zurechnungsklausel von § 17 Abs. 7 ARB 2010.

§ 17 Abs. 1c bb ARB 2010 nimmt zwar in Satz 1 auf § 82 VVG Bezug, enthält jedoch einen eigenen Regelungsgehalt, dass die Rechtsverfolgungskosten so gering wie möglich gehalten werden sollen. Diese Klausel ist intransparent.

Auch die Zurechnungsklausel nach § 17 Abs. 7 ARB 2010, dass der Versicherungsnehmer sich das Verhalten des beauftragten Rechtsanwalts zurechnen lassen muss, ist unwirksam, weil sie das Zurechnungsmodell des § 278 BGB auf die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers überträgt.[17]

[17] BGH, IV ZR 279/17, zfs 2019, 571 = r+s 2019, 582.

III. Repräsentant

Dem Versicherungsnehmer kann ein Versäumnis seines Rechtsanwalts nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung in Ausnahmefällen dann zugerechnet werden, wenn der Anwalt mit der umfassenden Betreuung des Vertragsverhältn...

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