I. Ausgangssituation und Interessenlage

Der durchschnittliche Unfallgeschädigte gerät durch einen Verkehrsunfall nicht nur unvermittelt, sondern in aller Regel erstmals in die Situation, einen Pkw anmieten zu müssen. Hält er den Unfallgegner für verantwortlich, geht er davon aus, dass dessen Haftpflichtversicherung die Kosten des Mietwagens in vollem Umfang übernimmt. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte die zur Wiederherstellung erforderlichen Kosten verlangen. Erforderlich sind die Mietwagenkosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.

II. Dreistufiges Prüfungsschema

Seit dem Urteil des BGH vom Oktober 2004[15] gilt in der Rechtsprechung ein dreistufiges Prüfungsschema.[16]

1. Objektive Erforderlichkeit

Der Geschädigte hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die gegenüber dem Normaltarif höheren Kosten zum "erforderlichen" Aufwand der Schadensbeseitigung zu rechnen sind. Das ist der Fall, wenn die Besonderheiten des Unfallersatztarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation und die damit verbundene Not- und Eilsituation (Vorfinanzierung, Verzicht auf Sicherheiten, Bring- und Abholservice etc.) einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen.[17]

[17] K. Schneider, in: Berz/Burmann Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 38. EL, Dezember 2017, 5. C. Rn 29c–29d; BGH, Urt. v. 12.10.2004 – VI ZR 151/03, NJW 2005, 51.

2. Subjektive Erforderlichkeit

Soweit die Mehrkosten des Unfallersatztarifs nach den vorstehenden Grundsätzen nicht objektiv erforderlich sind, kann sich die Erstattungsfähigkeit nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB daraus ergeben, dass dem Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war.[18]

3. Schadensminderungspflicht

Auch wenn ein Unfallersatztarif objektiv erforderlich ist, kann die Erstattungsfähigkeit an der dem Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB scheitern. Dies ist der Fall, wenn feststeht, dass dem Geschädigten der Normaltarif in der konkreten Situation verfügbar und ohne Weiteres zugänglich war.[19]

III. Schadensermittlung

Für die Tatsachen, aus denen sich die objektive oder die subjektive Erforderlichkeit des geltend gemachten Tarifs ergibt, trägt der Geschädigte – da es jeweils um die Frage des Anspruchsgrundes und nicht der Schadensminderungspflicht geht – die Darlegungs- und Beweislast. Falls weder die objektive noch die subjektive Erforderlichkeit des in Anspruch genommenen Tarifs nachgewiesen wird, kann der Geschädigte lediglich den Normaltarif verlangen.[20] Diesen Normaltarif kann das Gericht im Rahmen des § 287 ZPO schätzen. Eine geeignete Grundlage für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung stellen sowohl der Schwacke-Automietpreisspiegel als auch der Fraunhofer-Mietpreisspiegel dar.[21]

IV. Mietpreisvereinbarung und Wirksamkeit des Mietvertrags irrelevant

Für die Frage der Erforderlichkeit der Mietwagenkosten kommt es nicht darauf an, ob der Mietpreis für das Ersatzfahrzeug zwischen Vermieter und Mieter wirksam vereinbart worden ist.[22] Eine eventuelle Unwirksamkeit der vom Geschädigten mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung ist für den Haftpflichtprozess irrelevant, was den allgemeinen schadensersatzrechtlichen Prinzipien entspricht.[23] Im Schadenersatzrecht kommt es nur darauf an, ob die vom Geschädigten geltend gemachten Mietwagenkosten "erforderlich" nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind. Ebenfalls ohne Bedeutung ist, ob der Mietvertrag wirksam ist oder wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) nichtig ist.[24] Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vermieter und dem Mieter eines Ersatzwagens hat keine Auswirkungen für den Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten.[25] Eventuelle Mängel im Mietvertrag im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter haben auf den Schaden des Geschädigten keinen Einfluss.[26]

[24] BGH, Urt. v. 9.10.2007 – VI ZR 27/07, NJW 2007, 3782; BGH, Urt. v. 16.9.2008 – VI ZR 226/07, NJW-RR 2009, 130.
[25] Kuhn, in: Buschbell, MAH Straßenverkehrsrecht, 4. Aufl. 2015, § 24 Rn 154.
[26] AG München, Urt. v. 15.8.2018 – 334 C 5983/18; AG Landau an der Isar, Urt. v. 21.12.2017 – 4 C 318/17.

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