Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallersatztarif. Erstattung von Mietwagenkosten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Erforderlichkeit eines Unfallersatztarifs.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 23.06.2006; Aktenzeichen 1 S 20/06)

AG Weißenfels (Entscheidung vom 08.02.2006; Aktenzeichen 1 C 692/05)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Halle vom 23.6.2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Parteien streiten noch um die Erstattung weiterer Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall.

[2] Am 17.5.2005 kam es zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Pkw der Klägerin und dem vom Beklagten zu 1) gehaltenen, vom Beklagten zu 2) geführten und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw.

[3] Die Klägerin mietete für die Dauer der Reparatur ihres Fahrzeugs vom 17. bis 24.5.2005 ein Ersatzfahrzeug an, ohne andere Angebote einzuholen. Der von ihr angesprochene Vermieter unterscheidet in seinen Tarifen nicht zwischen Unfallersatz- und Normaltarif. Er berechnete einen Mietpreis von 1.434,04 EUR brutto. Die Beklagte zu 3) erstattete den Schaden vorprozessual nach einer Haftungsquote von 75 %. Bei den Mietwagenkosten erkannte sie 500 EUR als ersatzfähigen Schaden an und glich diesen Betrag ebenfalls zu 75 % aus.

[4] Mit der Klage hat die Klägerin Bezahlung von 100 % ihrer Kosten begehrt. Das AG hat der Klage auf der Grundlage einer vollen Ersatzpflicht der Beklagten mit Ausnahme eines Teils der Mietwagenkosten stattgegeben, die es nur bis zu einem Gesamtbetrag von 500 EUR zugesprochen hat. Hinsichtlich der zusätzlich begehrten Mietwagenkosten i.H.v. 908,48 EUR hat es die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

[5] Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellen die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten keinen gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB objektiv erforderlichen und damit ersatzfähigen Herstellungsaufwand dar. Objektiv erforderlich seien Mietwagenkosten für ein Unfallersatzfahrzeug nur, wenn sie sich im Bereich der allgemeinen marktüblichen Mietpreise hielten. Würden - wie hier - keine Vergleichsangebote eingeholt, könne der Geschädigte darlegen und ggf. beweisen, dass sich der gezahlte Mietpreis im Rahmen des Marktüblichen bewege und somit objektiv erforderlich gewesen sei. Die Bestimmung der Marktüblichkeit müsse sich an den durchschnittlichen "Normaltarifen" orientieren, wenn der Betroffene nicht im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gem. § 254 BGB ordnungsgemäße Erkundigungen durch Einholung mehrerer Vergleichsangebote angestellt habe. Besondere Unfallersatztarife, die die gewöhnlichen Mietwagenkosten nach "Normaltarifen" erheblich überstiegen, stellten grundsätzlich keine gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähige Schadensposition dar. Die Kammer gehe in Abweichung zu der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht davon aus, dass ein Unfallersatztarif ersatzfähig sein könne, wenn die Besonderheiten dieses Tarifs einen ggü. dem Normaltarif höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigten.

[6] Wenn demnach ein marktüblicher Mietpreis als ersatzfähiger Schaden anzusehen sei, könne das Gericht nach § 287 ZPO die erforderlichen Mietwagenkosten schätzen. Dafür biete das sog. "gewichtete Mittel" der "Schwacke-Mietpreisliste" eine geeignete Orientierungshilfe.

[7] Vorliegend ergebe sich unter Berücksichtigung der unbestrittenen Darlegungen der Beklagten in der ersten Instanz, wonach ein Fahrzeug der Mietwagenklasse des klägerischen Fahrzeugs für den fraglichen Zeitraum im örtlichen Bereich zu einem Durchschnittspreis von 343 EUR hätte angemietet werden können, und des Umstandes, dass Mietwagenkosten von 500 EUR zugestanden worden seien, kein Anhaltspunkt dafür, dass der Klägerin darüber hinaus weitere Mietwagenkosten zustehen könnten.

II.

[8] Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[9] 1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. etwa BGH v. 12.10.2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377, 383 f. = BGHReport 2005, 294 m. Anm. Krischer = MDR 2005, 332; 163, 19, 22 f.; Urt. v. 26.10.2004 - VI ZR 300/03, VersR 2005, 241, 242 f.; v. 15.2.2005 - VI ZR 160/04, VersR 2005, 569 f. und - VI ZR 74/04, VersR 2005, 568 f.; v. 9.5.2006 - VI ZR 117/05, VersR 2006, 986 f.; v. 20.3.2007 - VI ZR 254/05, Umdruck Rz. 10, z.V.b.) kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem "Normaltarif" teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä.) einen ggü. dem "Normaltarif" höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.

[10] Wie der Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Urt. v. 25.10.2005 - VI ZR 9/05, MDR 2006, 686 = BGHReport 2006, 232 = VersR 2006, 133; v. 14.2.2006 - VI ZR 126/05, BGHReport 2006, 841 = MDR 2006, 1105 = VersR 2006, 669, 670; v. 30.1.2007 - VI ZR 99/06, MDR 2007, 713 = BGHReport 2007, 388 = VersR 2007, 516, 517 m.w.N.) ist es dabei nicht erforderlich, dass der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines "Unfallersatztarifs" die Kalkulation des konkreten Unternehmens - ggf. nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Fall nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt. In Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den "Normaltarif" auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten - ggf. mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl. Senat, Urt. v. 9.5.2006 - VI ZR 117/05, BGHReport 2006, 1015 = VersR 2006, 986, 987; v. 30.1.2007 - VI ZR 99/06, MDR 2007, 713 = BGHReport 2007, 388 -, a.a.O.).

[11] Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abweichen will, sind nicht stichhaltig. Sie sind nicht fallbezogen und beruhen nicht auf einer sachverständigen Beratung, sondern stützen sich im Wesentlichen auf Argumente im Schrifttum, die dem Senat bekannt sind und denen er sich in dieser Allgemeinheit nicht anzuschließen vermag.

[12] Mithin ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der geltend gemachte Unfallersatztarif erforderlich gewesen ist, weil das Berufungsgericht die grundsätzlich notwendige Prüfung der Erforderlichkeit eines höheren Unfallersatztarifs nicht vorgenommen hat. Soweit es die erforderlichen Mietwagenkosten gem. § 287 ZPO anhand des sog. gewichteten Mittels der "Schwacke-Mietpreisliste" geschätzt hat, macht dies eine Prüfung, ob der Unfallersatztarif erforderlich war, nicht entbehrlich. Bei seiner Schätzung ist es nämlich entgegen der Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass ein Unfallersatztarif grundsätzlich nicht ersatzfähig ist und Mietwagenkosten nur im Rahmen der nach dem "Normaltarif" zu bemessenden marktüblichen Mietwagenkosten als erforderlich anzusehen sind. Es hat somit nicht berücksichtigt, dass möglicherweise beim Unfallersatztarif ein Aufschlag auf den "Normaltarif" zuzubilligen ist. Daher hat es seiner Schätzung einen Ausgangspunkt zugrunde gelegt, der einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.

[13] 2. Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht offen bleiben.

[14] Die Frage, ob ein Unfallersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, kann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer "Normaltarif" in der konkreten Situation ohne Weiteres zugänglich war, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gem. § 254 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. Senat, Urt. v. 14.2.2006 - VI ZR 32/05, MDR 2006, 1106 = BGHReport 2006, 700 = VersR 2006, 564, 565; v. 4.7.2006 - VI ZR 237/05, MDR 2007, 27 = BGHReport 2006, 1300 = VersR 2006, 1425, 1426; v. 23.1.2007 - VI ZR 18/06, MDR 2007, 714 = BGHReport 2007, 389 = VersR 2007, 515, 516; v. 6.3.2007 - VI ZR 36/06, BGHReport 2007, 598 = VersR 2007, 706, 707; v. 20.3.2007 - VI ZR 254/05, Umdruck Rz. 11, z.V.b.). Ebenso kann diese Frage offen bleiben, wenn zur Überzeugung des Tatrichters feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum "Normaltarif" nach den konkreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist, denn der Geschädigte kann in einem solchen Fall einen den "Normaltarif" übersteigenden Betrag im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung auch dann verlangen, wenn die Erhöhung nicht durch unfallspezifische Kostenfaktoren gerechtfertigt wäre (vgl. Senat, Urt. v. 13.6.2006 - VI ZR 161/05, BGHReport 2006, 1229 = MDR 2007, 29 = VersR 2006, 1273, 1274; v. 4.7.2006 - VI ZR 237/05, MDR 2007, 27 = BGHReport 2006, 1300 = VersR 2006, 1425, 1426; v. 20.3.2007 - VI ZR 254/05 -, a.a.O.). Für die Frage, ob dem Geschädigten ein wesentlich günstigerer Tarif ohne Weiteres zugänglich war, ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Solche auf den Einzelfall bezogenen Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Soweit es ausführt, die Klägerin habe trotz eines entsprechenden Hinweises keinen Vortrag hinsichtlich marktüblicher Mietkosten erbracht, die den zuerkannten Betrag von 500 EUR überstiegen, bezieht sich auch dies nur auf den "Normaltarif".

III.

[15] Nach allem ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats die bisher nicht getroffenen Feststellungen nachholen kann.

 

Fundstellen

NJW 2007, 2758

BGHR 2007, 915

EBE/BGH 2007

MDR 2007, 1255

NZV 2007, 514

VRS 2007, 175

VersR 2007, 1144

GuT 2007, 234

SVR 2007, 421

VRR 2007, 383

r+s 2007, 345

autorechtaktuell 2007, 12

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