"… Das LG hat dem Antrag auf Feststellung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu Unrecht stattgegeben; denn die Bekl. ist von diesem Vertrag mit Schreiben vom 20.9.2018 wirksam wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Kl. zurückgetreten (§ 19 Abs. 2 VVG). Ungeachtet der von ihr später anerkannten Verpflichtung, Leistungen wegen eines schon zuvor eingetretenen Versicherungsfalles zu erbringen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 VVG), ist die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung durch den Rücktritt beendet worden."

1. Die Kl. als VN hat ihre vorvertragliche Anzeigepflicht dadurch verletzt, dass sie durch ihre Geschäftsführerin (G) als zu versichernde Person die ihr in dem Antragsformular vom 11.11.2014 gestellten Fragen nach der Gesundheit der zu versichernden Person ausnahmslos verneinte, was – in mehrfacher Hinsicht – nicht der Wahrheit entsprach.

a) Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG hat der VN (und bei der Versicherung auf die Person eines anderen auch diese, §§ 156. 176 VVG) bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des VR, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der VR in Textform gefragt hat, dem VR anzuzeigen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Bekl. hat der Kl. und ihrer G. als zu versichernder Person in dem schriftlichen Antragsformular vom 11.11.2014 auf Seite 3 von 14 mehrere Fragen zu ihrer Gesundheit gestellt, darunter – zulässigerweise – insbesondere, ob sie in den letzten 5 Jahren hinsichtlich bestimmter, nachfolgend im Einzelnen aufgezählter Erkrankungen oder Beschwerden, "untersucht, beraten oder behandelt" worden sei und ob ihr in den letzten 2 Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern Medikamente verordnet worden seien. Sämtliche dieser Fragen, die ihr unzweifelhaft ordnungsgemäß in Textform nahegebracht wurden (§ 126b BGB; vgl. dazu Senat VersR 2015, 91), hat die G. in dem Formular – durch Ankreuzen – verneint und dies durch ihre Unterschrift bestätigt. Dies entsprach jedoch nicht der Wahrheit; (wird ausgeführt).

b) Das Vorliegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit wird durch den Einwand der Kl., beim Ausfüllen des Antrages seien ihrer G. die verschwiegenen Umstände nicht mehr in Erinnerung gewesen, nicht in Frage gestellt.

(1) Zwar gehört nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die positive Kenntnis des VeN (bzw. der zu versichernden Person, §§ 156, 176 VVG) von den anzuzeigenden Umständen zum objektiven Tatbestand der Anzeigeobliegenheit, den der VR zu beweisen hat (BGH VersR 2020, 18).

Trotz des Abstellens – nur – auf die "bekannten Gefahrumstände" in § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG erstreckt sich die Obliegenheit zur Anzeige im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck jedoch nicht nur auf das dem VN "aktuell vorhandene jederzeit verfügbare Wissen" (Knappmann, in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 14 Rn 54); sondern auch auf dasjenige Wissen, an das sich der VN bei "zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses" hätte erinnern können (vgl. BGH VersR 2009, 529; OLG Hamm, VersR 2020, 1304; …). Auch im Streitfall meint der Senat, dass die G., der die von ihr wahrgenommenen Behandlungen einschließlich der Umstände, die sie zum Arztbesuch veranlassten und die sie dort als ihre Beschwerden schilderte, unzweifelhaft bekannt waren, sich bei zumutbarer Anstrengung ihres Gedächtnisses daran hätte erinnern können und müssen, ob diese nach den vorgelegten Ausdrucken aus der Patientenkartei ihres Hausarztes mit umfassender Diagnostik und nicht unerheblichen Eingriffen – u.a. intramuskulären Injektionen von Schmerzmitteln – verbunden waren. Gerade da sie nach ihrer Darstellung nur selten zum Arzt geht, hätten sich entsprechende Erlebnisse angesichts der ausdrücklichen Fragen in dem Antragsformular zumindest im Grundsatz, wenn auch möglicherweise nicht in allen Details, in ihre Erinnerung rufen müssen.

(2) Unabhängig hiervon vermag der Senat der Kl. und ihrer G auch keinen Glauben schenken, dass diese die – zahlenmäßig überschaubaren, zugleich aber mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und aufwendiger Diagnostik verbundenen – ärztlichen Untersuchungen und Beratungen in den Jahren 2013 und 2014, zuletzt auch nur wenige Monate vor Antragstellung, nicht mehr in Erinnerung hatte, Ihre mehrfach wiederholte, zuletzt allerdings auch auf eine vermeintliche Unerheblichkeit der verschwiegenen Behandlungen gestützte und dadurch weitgehend relativierte Darstellung ist unglaubhaft. Schon in ihrer Anhörung durch das LG hatte die G. in auf entsprechende Fragen erklärt, sie wisse nicht mehr, ob sie damals krank gewesen sei; sie sei damals nur sehr selten beim Arzt gewesen und habe eigentlich auch keine Medikamente eingenommen, wenngleich sie es aber auch nicht ausschließen könne. Soweit sie im Anschluss erklärte, sie habe jedenfalls die Fragen verneint, weil ihr damals so etwas "nicht in Erinnerung" gewesen sei, ersche...

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