Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheitskostenversicherung: Rücktritt des Versicherers gemäß § 19 VVG; "Vergessen" von Vorerkrankungen

 

Leitsatz (amtlich)

Der VN hat Kenntnis von Vorerkrankungen auch dann, wenn er sich bei zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses daran erinnern kann (hier Kenntnis bejaht; unter II 2 a bb).

Zu den weiteren Voraussetzungen für eine wirksame Rücktrittserklärung des Versicherers (hier ebenfalls bejaht).

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 18 O 270/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 24. Juli 2019 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Feststellung des Fortbestandes seiner bei der Beklagten genommen privaten Krankheitskostenversicherung nach von dieser erklärtem Rücktritt.

Bezüglich des erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts verwiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens - weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. festzustellen, dass das Krankenversicherungsvertragsverhältnis zur Versicherungsnummer 000 unverändert weiterbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn in Höhe von 893,45 EUR von der Gebührenrechnung seines nunmehr Prozessbevollmächtigten für dessen außergerichtliche Tätigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt - unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - die angefochtene Entscheidung.

Bezüglich des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört.

II. Die Berufung ist unbegründet.

Der Vertrag ist aufgrund der wirksamen Rücktrittserklärung vom 01.03.2018 beendet. Deshalb steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu.

1. Die Beklagte hat den Rücktritt im Schreiben vom 01.03.2018 (Anl. K4, eGA I-70 f.) schriftlich gegenüber dem Kläger erklärt (§ 349 BGB, § 21 Abs. 1 Satz 1 VVG).

2. Rücktrittsgrund ist nach § 19 Abs. 2 VVG die objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 19 Abs. 1 VVG (unter a). Der Rücktritt ist nicht nach § 19 Abs. 3 Satz 1 VVG ausgeschlossen, weil der Kläger das Nichtvorliegen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit nicht bewiesen hat (unter b).

a) Der Kläger hat nach § 19 Abs. 1 VVG offenbarungspflichtige Umstände im Antrag (Anl. BLD6, eGA 59 AB), nach denen in Textform gefragt worden war, nicht angeben.

aa) Der Kläger hat im Antrag zu Frage A zwar angegeben, dass in den letzten 3 Jahren Untersuchungen / Behandlungen stattgefunden hätten.

Auf die Anschlussfrage nach näheren Angaben hierzu ("Art der Beschwerden [...], Diagnosen, Beginn und Ende der Behandlung, verordnete Medikamente und Dosierung, [...] Art der körperlichen und geistigen Defizite, [...] AU Tage, Anschrift von Ärzten [...]") gab der Kläger indes nur an "Routineuntersuchung ohne Befund, behandl. u. beschwerdefrei".

Diese Angabe war unstreitig objektiv falsch. Denn der Kläger hat - auch im Senatstermin - eingeräumt, dass er auf Empfehlung der Polizei im Hinblick auf ein mögliches HWS-Trauma nach einem Autounfall an Heiligabend 2013 bei einem Arzt zur Untersuchung und anschließend auf dessen Anraten noch ein- oder zweimal - jedenfalls einmal am 09.01.2014 - bei diesem zur Nachuntersuchung war. Die eigene Hausärztin sei im Urlaub gewesen.

Entsprechend heißt es bereits in der Klageschrift, dass er im Zusammenhang mit einem Autounfall an Weihnachten 2013 wegen daraus resultierender Rückenbeschwerden vorstellig wurde.

bb) Der Kläger wies zum Zeitpunkt der Antragsstellung auch die vom Versicherer zu beweisende (vgl. BGH Urt. v. 16.9.2009 - IV ZR 246/08, r+s 2009, 497 Rn. 12 m. w. N.) notwendige Kenntnis dieser Umstände auf.

Der Kläger kann sich nicht auf ein etwaiges Vergessen dieser Umstände berufen. Insoweit ist zwar umstritten, wer die Beweislast für ein Vergessen trägt. Hierauf kommt es aber vorliegend nicht an.

Denn nach beiden Auffassungen und allgemeiner Meinung umfasst § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG trotz des Wortlauts "bekannte Gefahrumstände" im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck nicht nur die Obliegenheit zur Anzeige des dem Versicherungsnehmer "aktuell vorhandenen jederzeit verfügbaren Wissens" (Knappmann, r+s 1996, 81, 82; ders. in Beckmann/Matusche-Beckmann, Hdb-VersR, § 14 Rn. 54), sondern auch desjenigen Wissens, an das sich der Versicherungsnehmer bei "zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses" (BGH Urt. v. 11.2.2009 - IV ZR 26/06, r+s 2009, 361 Rn. 11) bzw. bei "angemessenen Bemühun...

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