Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesundheitsfragen: sog. Globalfrage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den formalen Anforderungen an eine Belehrung gemäß § 19 Abs. 5 VVG (Anschluss an BGH, Urteil vom 27. April 2016 - IV ZR 372/15, BGHZ 210, 113).

2. Bei der in einem Antragsformular eines Versicherers (hier: Krankheitskostenversicherung) gestellten Gefahrfrage nach Untersuchungen und Behandlungen in einem konkret eingegrenzten Zeitraum (hier: drei Jahre) handelt es sich nicht um eine unzulässige Globalfrage. Eine solche Frage verpflichtet den Versicherungsnehmer, alle Untersuchungen und/oder Behandlungen anzugeben, sofern diese nicht in Gesundheitsbeeinträchtigungen ihre Ursache haben, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen.

3. Es bleibt offen, ob auch unter Geltung des § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung nähere Darlegungen des Versicherers zur Gefahrerheblichkeit eines verschwiegenen Gefahrumstands entbehrlich sind, wenn die Gefahrerheblichkeit "auf der Hand liegt".

4. Im Rahmen der Prüfung Gefahrerheblichkeit im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die vom Versicherer für den Zeitpunkt der Vertragsentscheidung angewendeten und dargelegten Risikoprüfungsgrundsätze "vernünftig" sind.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 115 O 42/20)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht insoweit abgewiesen, als der Kläger die Feststellung des Fortbestands der von ihm bei der Beklagten genommenen Krankentagegeldversicherung begehrt hat. Die Berufungsangriffe des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 10. Dezember 2021 (Bl. 59 ff. der elektronischen Gerichtsakte II. Instanz [im Folgenden: eGA-II]) greifen nicht durch. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, ist die Beklagte mit Schreiben vom 9. März 2020 (GA I 112 f.) wirksam gemäß § 19 Abs. 2 VVG vom Vertrag zurückgetreten.

Gemäß § 19 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit verletzt hat. Diese Anzeigeobliegenheit wird in § 19 Abs. 1 VVG dahin konkretisiert, dass der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen hat, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Das Rücktrittsrecht ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigeobliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat (§ 19 Abs. 3 Satz 1 VVG); es steht dem Versicherer auch nur dann zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen der Verletzung der Anzeigeobliegenheit hingewiesen hat (§ 19 Abs. 5 Satz 1 VVG).

1. Ohne Erfolg macht die Berufung zunächst geltend, die von der Beklagten verwendete Belehrung genüge nicht den Anforderungen des § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG an eine gesonderte Mitteilung in Textform. Dem Erfordernis einer gesonderten Mitteilung in Textform entspricht, wie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt ist, eine Belehrung innerhalb eines noch andere Mitteilungen enthaltenden Schriftstücks. In diesem Fall muss sich die Belehrung durch ihre Platzierung und drucktechnische Gestaltung vom übrigen Text derart abheben, dass sie für den Versicherungsnehmer nicht zu übersehen ist (BGH, Urteil vom 27. April 2016 - IV ZR 372/15, BGHZ 210, 113 Rn. 13). Diese Voraussetzungen erfüllt die Belehrung der Beklagten im Antragsformular vom 16. Januar 2019, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat.

Im Antragsformular verweist die Beklagte zunächst im Fettdruck und mit einem Rahmen versehen unmittelbar vor den Gesundheitsfragen darauf, dass eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht den Versicherer zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Vertragsanpassung berechtigen kann. Hierzu wird auf die näheren Ausführungen in der "Mitteilung nach § 19 Abs. 5 VVG über die Folgen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht" auf Seite 7 des Antrags verwiesen. In der ebenfalls im Antragsformular enthaltenen Rubrik "Schlusserklärungen und Antragsunterschriften" erfolgt ein weiterer in Fettdruck gehaltener Hinweis auf diese Mitteilung unter erneuter Bezugnahme auf die Fundstelle. In dieser werden sodann - was auch der Kläger nicht in Abrede nimmt - die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der der Beklagten zustehenden Rechte gemäß § 19 Abs. 4 VVG im Einzelnen geschildert. Dieser Hinweis...

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