Die Entscheidung des Familienrechtssenats des BGH[1] aus dem Januar 2021 betrifft eine in der Praxis häufig zu beobachtende Fallkonstellation: Der Rücktritt eines durch Erbvertrag gebundenen Erblassers bei (tatsächlicher oder doch zumindest befürchteter) Geschäftsunfähigkeit des Vertragspartners. Eine nahezu identische Problemlage existiert auch beim gemeinschaftlichen Testament, bei dem über § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB die maßgebliche erbvertragliche Bestimmung des § 2296 BGB entsprechende Anwendung findet (hierzu sogleich).

a) Die Entscheidung

Der dem Bundesgerichtshof zugrundeliegende Sachverhalt lässt sich knapp wie folgt zusammenfassen:

In einem notariellen Erbvertrag mit vertraglich vorgesehenem Rücktrittsrecht zu Lebzeiten der Eheleute bedachten sich diese vertraglich bindend mit Vermächtnissen. Im Nachgang erteilte die Ehefrau ihren beiden Kindern eine umfassende Vorsorgevollmacht. 2020 erklärte der Ehemann dann in notarieller Urkunde den Rücktritt vom Erbvertrag. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit seiner Ehefrau hatte, regte der Ehemann beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung an. Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt.

Diese Ablehnung erfolgte nach dem BGH zu Recht; eine Betreuung sei nicht erforderlich i.S.d. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Rücktritt sei zwar eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem anderen Teil zugehen müsse i.S.d. § 130 BGB (vgl. Wortlaut des § 2296 BGB: "durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragschließenden"). Ein solcher Rücktritt könne jedoch auch gegenüber einem Geschäftsunfähigen erfolgen; dies ergebe sich vor allem aus dem Wortlaut der Norm.[2] Der Gesetzgeber habe in § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB schließlich den Tod des anderen Vertragschließenden als eindeutige und unschwer zu bestimmende zeitliche Zäsur festgelegt, bis zu der das Rücktrittsrecht auszuüben sei. Dass der andere Teil, wenn er geschäftsunfähig ist, nicht mehr auf den Widerruf reagieren könne,[3] sei dem Gesetz nicht fremd, wie sich aus § 2229 Abs. 4 BGB ergebe. Letztlich verwirkliche sich für den Rücktrittsgegner hier nur das allgemeine Risiko, einer veränderten Situation aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Testierunfähigkeit erbrechtlich nicht mehr Rechnung tragen zu können. An dieser Stelle bestätigte der BGH die ohnehin ganz herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung und bringt insoweit Rechtssicherheit für die ebendieser Meinung weithin folgende Praxis.

Bei Geschäftsunfähigkeit muss die Rücktrittserklärung grundsätzlich dem gesetzlichen Vertreter (§ 1902 BGB) zugehen, also dem Betreuer (mit einem diese Entgegennahme umfassenden Aufgabenkreis).[4] Häufig tauchte nun in der Praxis die Frage auf, ob der Rücktritt/Widerruf statt gegenüber dem gesetzlichen Vertreter auch gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten, also einem gewillkürten Vertreter, erfolgen kann. Zu ebendieser Frage existierte indes bis zu dieser Entscheidung des BGH noch keine obergerichtliche Entscheidung;[5] auch in der Literatur existiert ein uneinheitliches Meinungsbild.[6]

Der BGH spricht sich nun für eine solche Möglichkeit aus – zumindest grundsätzlich. Dem Zugang beim Bevollmächtigten stehe zunächst nicht § 131 BGB entgegen; vielmehr sei insoweit auf § 164 Abs. 3 BGB abzustellen, wonach eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung, die dessen Vertreter gegenüber erfolgt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt. Auch aus § 51 Abs. 3 ZPO – der den Vorsorgebevollmächtigten eines prozessunfähigen Volljährigen einem gesetzlichen Vertreter gleichstellt – ergebe sich nicht im Umkehrschluss, dass das Fehlen einer entsprechenden Norm im materiellen Recht gegen einen wirksamen Zugang beim Vorsorgebevollmächtigten spreche.

Nicht von der Hand zu weisen sei es allerdings, dass mit der gewillkürten Stellvertretung allgemein ein höheres Risiko für einen noch testierfähigen Vertretenen verbunden sein könne als mit einer gesetzlichen Vertretung durch einen Betreuer. Ob es vor diesem Hintergrund Ausnahmen geben müsse, könne hier allerdings offenbleiben.

[2] OLG Nürnberg v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, ZEV 2013, 450; BayObLG v. 30.9.1992 – BReg 1Z 71/91, DNotZ 1993, 130 (inzidenter); LG Hamburg v. 17.2.2000 – 301 T 264/99, DNotI-Report 2000, 86; LG Leipzig v. 1.10.2009 – 4 T 549/08 (n.v.); AG München v. 13.10.2010 – 705 XVII 15559/08, ZEV 2011, 81; OLG Hamm v. 5.11.2013 – I-15 W 17/13, FGPrax 2014, 71; DNotI-Report 2014, 97; Reimann/Bengel/Dietz/J. Mayer, § 2271 Rn 17; BeckOK-BGB/Litzenburger, § 2271 Rn 14a; JurisPKBGB/Reymann, § 2271 Rn 22; Jauernig/Stürner, § 2271 Rn 2; Palandt/Weidlich, 80. Aufl., § 2271 Rn 6; MüKo-BGB/Musielak, § 2271 Rn 9; BeckOK-BGB/Litzenburger, § 2271 Rn 14aM; Jauernig/Stürner, § 2271 Rn 2; Zimmer, NJW 2007, 1713, 1715; ders., ZEV 2013, 307; DNotI-Report 2004, 197; DNotI-Report 2014, 97; Helms, DNotZ 2003, 106; Keim, ZEV 2010, 358; S...

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