Ob dann, wenn eine Verständigung i.S.v. § 257c StPO zustande kommen soll, die Rechtslage schwierig i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO ist, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise i.d.R. nicht selbst wirksam verteidigen kann (so OLG Naumburg StraFo 2014, 21 = NStZ 2014, 116 m. abl. Anm. Wenske = StV 2014, 274 = StRR 2014, 70) ist umstritten (verneinend OLG Bamberg StraFo 2015, 67 = StRR 2015, 102 m. abl. Anm. Burhoff).

Bejaht worden ist die Schwierigkeit des Verfahrens bei einem Geldwäschevorwurf in Zusammenhang mit einer Verfallsanordnung sowie Fragen eines Täter-Opfer-Ausgleichs und eines Akteneinsichtsrechts des Verteidigers (LG Traunstein, Beschl. v. 19.1.2015 – 2 Qs 332/14).

Im Steuerstrafrecht, bei dem es sich um Blankettstrafrecht handelt, kann die Rechtslage nur in einer Zusammenschau straf- und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden. Damit ist ein Angeklagter regelmäßig überfordert, wenn er nicht über Spezialwissen verfügt. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts möglich ist, genügt nicht. Dies gilt umso mehr, wenn vertiefte Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erforderlich sind, so dass dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (LG Essen, Beschl. v. 2.9.2015 – 56 Qs 1/15). Ist der Verurteilte im Verfahren nach dem DNA-IFG nicht in der Lage, die Bedeutung der für die Prognose i.S.d. § 81g StPO maßgeblichen Kriterien inhaltlich zu erfassen und selbst hierzu umfassend vorzutragen, ist ihm ein Pflichtverteidiger beizuordnen (LG Cottbus, Beschl. v. 24.7.2014 – 24 Qs 33/13).

Der 2. Strafsenat des BGH hat die Praxis gerügt, wonach Revisionshauptverhandlungen ohne Anwesenheit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers durchgeführt werden. Dies genüge nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK. Erscheine ein Wahlverteidiger, dem der Termin der Hauptverhandlung gem. § 350 Abs. 1 StPO mitgeteilt wurde, nicht zur Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht, oder teile er vorab mit, dass er nicht erscheinen werde, sei er daher i.d.R. zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung zu bestellen, um das Recht des Angeklagten auf Verteidigung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK zu wahren (BGH NJW 2014, 3527 = StRR 2015, 25).

Die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers ist i.d.R. nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten, wenn das Berufungsverfahren allein die Frage zum Gegenstand hat, ob der Einspruch gegen einen Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen wurde (KG, Beschl. v. 4.5.2015 – 1 Ws 20/15).

Von einem Fall der notwendigen Verteidigung ist auszugehen, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (§ 81a-StPO-Problematik; s. LG Gera, Beschl. v. 5.8.2015 – 9 Qs 313/15 m.w.N. aus der h.M. in der Rspr.). Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO ist auch bei einer Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil nicht geboten, wenn in der Berufungsverhandlung die alle Beweismittel ausschöpfende Beweisaufnahme stattfindet, die eigentlich in 1. Instanz geboten gewesen wäre (OLG Köln NStZ-RR 2012, 215 = StRR 2012, 162 [Ls.]; ähnlich OLG Dresden, Beschl. v. 9.2.2015 – 3 Ws 9/15, StRR 2015, 83 [Ls.] = StV 2015, 541 [Ls.]).

 

Hinweis:

Für die Frage, ob eine schwierige Sach- und Rechtslage nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist, ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Pflichtverteidigerbestellung abzustellen (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.10.2014 – 16 Qs 35/14, StRR 2015, 183).

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