Leitsatz (amtlich)

Allein die Tatsache, dass dem Urteil erster Instanz eine Verständigung nach § 257 c StPO im Sinne einer Urteilsabsprache zugrunde liegt, begründet auch bei einem absprachebedingten Geständnis nicht die Notwendigkeit zur Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten wegen der "Schwierigkeit der Rechtslage" im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO im Berufungsverfahren (entgegen OLG Naumburg, Beschluss vom 04.12.2013 - 2 Ss 151/13 = StraFo 2014, 21 = NStZ 2014, 116 = StV 2014, 274).

 

Normenkette

StPO § 140 Abs. 2, §§ 257c, 301 Abs. 1 S. 2, §§ 304, 306

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 29.10.2014 wird verworfen.
  2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels.
 

Gründe

I.

Die Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 06.08.2104 wegen Untreue in mehreren tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. An der Hauptverhandlung nahm ein von der Angeklagten beauftragter Wahlverteidiger teil. Dem Urteil des Amtsgerichts war eine Verständigung im Sinne des § 257 c StPO vorausgegangen. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte fristgerecht und umfassend Berufung eingelegt. Aus ihrer Rechtsmittelschrift ergibt sich, dass sie sich nicht nur gegen die Strafhöhe, sondern auch gegen den Schuldspruch wendet. Das Mandat ihres Wahlverteidigers hat die Angeklagte am 20.08.2014 gekündigt. Auch die Staatsanwaltschaft hat gegen das amtsgerichtliche Urteil - beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - Berufung eingelegt. Unter dem 23.10.2014 beantragte die Angeklagte, ihr für das weitere Verfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat die Vorsitzende der Berufungskammer mit Beschluss vom 29.10.2014 abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Beschwerde 03.11.2014, der die Vorsitzende der Berufungskammer nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 304, 306 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weshalb das Rechtsmittel der Angeklagten mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen ist. Die Vorsitzende der Berufungskammer hat zutreffend den Antrag der Angeklagten, ihr für das weitere Verfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen, abgelehnt.

1. Nachdem die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht vorliegen, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO dann vor, "wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann".

2. Die Angeklagte trägt zwar vor, aufgrund eines schlechten Gesundheitszustandes nach einer Erholungsreise eine Kur wegen massiver Erschöpfungsdepression bzw. "Burnout" angetreten zu haben bzw. antreten zu wollen. Nähere Ausführungen dazu, dass sie aus gesundheitlichen Gründen außer Stande ist, sich selbst zu verteidigen, fehlen jedoch. Eine solche Unfähigkeit wird auch aus den verschiedenen Schreiben der Angeklagten nicht deutlich.

3. Vorliegend gebietet auch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage nicht die Mitwirkung eines Verteidigers. Der den abgeurteilten Straftaten zugrundeliegende Sachverhalt ist relativ übersichtlich und beinhaltet weder hinsichtlich des Sachverhalts und der Beweisaufnahme, noch hinsichtlich der rechtlichen Würdigung besondere Schwierigkeiten.

4. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt schließlich insbesondere nicht (allein) deshalb vor, weil dem amtsgerichtlichen Urteil eine Verständigung gemäß § 257 c StPO zugrunde liegt. Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung des OLG Naumburg (OLG Naumburg, Beschluss vom 04.12.2013 - 2 Ss 151/13 = StraFo 2014, 21 = NStZ 2014, 116 m. abl. Anm. Wenske NStZ 2014, 117 f. = StV 2014, 274), wonach eine Verständigung nach § 257 c StPO in der Regel geeignet sei, die Schwierigkeit der Rechtslage im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO zu begründen. Das OLG Naumburg führt insoweit aus, ein Angeklagter könne sich bei der Erörterung einer Verfahrensweise nach § 257 c StPO in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen, weil die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften des § 257 c StPO und der damit im Zusammenhang stehenden Regelungen aus dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.07.2009 selbst für Berufsrichter äußerst kompliziert und fehleranfällig sei. Vielmehr sei es unwahrscheinlich, dass ein Angeklagter, der nicht Volljurist ist, seine Rechte im Rahmen des undurchsichtigen Verfahrens, das einer Verständigung vorauszugehen hat, ohne juristischen Beistand erkennen und somit wahrnehmen könne. Diese Entscheidung wird im Schrifttum kritisiert (vgl. neben Wenske a.a.O. auch Peglau jurisPR-StrafR 6/2014 Anm. 2). Der Senat folgt diesen kritischen Einschätzungen.

a) Eine Rechtslage ist dann schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO, wenn bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschied...

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