Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage ist in der Regel nicht geboten, wenn das Berufungsverfahren allein die Frage zum Gegenstand hat, ob das Eingangsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen hat.

2. Auch ein Prozessurteil nach § 412 StPO entfaltet die hemmende Wirkung des § 78b Abs. 3 StGB.

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 72 vom 19. März 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Die Amtsanwaltschaft legt dem Angeklagten einen im Jahr 2006 begangenen Betrug zur Last. Mit Strafbefehl vom 26. Februar 2013 hat das Amtsgericht Tiergarten deswegen gegen ihn eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 Euro festgesetzt. Seinen Einspruch hat es mit Urteil vom 20. Oktober 2014 verworfen, weil er in dem anberaumten Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden war. Über seine Berufung gegen dieses Urteil soll am 12. Juni 2015 verhandelt werden. Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der Strafkammer es abgelehnt, dem Angeklagten Rechtsanwalt Ka., der ihn bisher als Wahlverteidiger verteidigt hatte, zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Beschwerde des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Das nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige und durch § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht ausgeschlossene Rechtsmittel ist unbegründet. Die Voraussetzung des für die Bestellung eines Verteidigers hier allein in Betracht kommenden § 140 Abs. 2 StPO sind nicht gegeben.

a) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist nicht wegen der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat geboten. Die Schwere einer Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 140 Rdn. 23 m.w.N). Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts gibt in der Regel erst eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe Anlass für die Bestellung eines Verteidigers (vgl. KG NStZ-RR 2013, 116; Senat, Beschluss vom 15. April 2014 - 1 Ws 25/14 -). Die im Strafbefehl verhängte Strafe, die wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 Abs. 1 StPO) nicht mehr verschärft werden kann, unterschreitet diese Grenze deutlich.

b) Die Sach- und Rechtslage ist nicht schwierig. Der 2. Strafsenat des Kammergerichts hat bereits entschieden, dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage in der Regel nicht geboten ist, wenn das Berufungsverfahren allein die Frage zum Gegenstand hat, ob das Eingangsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen hat (StRR 2013, 101 m. zust. Anm. Deutscher). So verhält es sich hier. Die Frage, ob das Nichterscheinen des Angeklagten in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung genügend entschuldigt war, ist einfach gelagert. Zu einer Verhandlung in der Sache, d.h. über den Vorwurf des Betruges wird es, was der Beschwerdeführer übersieht, nicht kommen. Auch wenn die Berufung Erfolg hätte, würde sich das Landgericht nicht mit dem Betrugsvorwurf auseinandersetzen, sondern das Urteil des Amtsgerichts aufheben und die Sache an das Amtsgericht zurückverweisen. Diese Handhabung entspricht, soweit ersichtlich, einhelliger Rechtsauffassung (vgl. BGHSt 36, 139; KG aaO.; LR-Gössel, StPO 26. Aufl., § 412 Rdn. 47 f. m.w.N.; der gegenteilige Standpunkt des OLG Düsseldorf NStZ 1988, 290 m. abl. Anm. Meyer-Goßner ist durch die genannte Entscheidung des BGH überholt). Dementsprechend beabsichtigt der Strafkammervorsitzende auch nur die Ärztin Dr. Ko. als sachverständige Zeugin zu laden, die zur Klärung der Frage beitragen kann, ob der Angeklagte der Hauptverhandlung krankheitsbedingt genügend entschuldigt ferngeblieben ist; die Ladung der Ärztin Dr. R., die durch den Angeklagten betrogen worden sein soll und damit einen Beitrag zur Aufklärung des Tatvorwurfs leisten kann, ist nicht vorgesehen. Sollte die Berufung Erfolg haben und verweist die Strafkammer die Sache an das Amtsgericht zurück, wäre der Angeklagte nicht daran gehindert, bei dem Amtsgericht erneut die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen.

c) Die Rechtslage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt schwierig, dass, wie die Beschwerde geltend macht, in der Berufungshauptverhandlung "die Überprüfung der Einhaltung der Verjährungsvorschriften zu erwarten ist". Das ist zwar im Ausgangspunkt richtig. Denn der Eintritt der Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB ist ein ausdrücklich bestimmtes gesetzliches Prozesshindernis (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO., Einl. Rdn. 145) und das Landgericht muss diese Frage daher prüfen, auch wenn es, wie dargelegt, nicht zur Sache verhandeln wird. Jedoch ist die Rechtslage zur Verjährung hier eindeutig und lässt auch keinen Beurteilungsspielraum zu.

Der Angeklagte soll den Betr...

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