I. Wirtschaftliche und rechtliche Ausgangslage

Über die feste Vergütung hinaus gibt es für den Arbeitgeber zahlreiche Möglichkeiten, Vergütungen und geldwerte Leistungen zugunsten der Arbeitnehmer zu gewähren (vgl. Lunk/Leder, NJW 2015, 3766). Dabei besteht auf Arbeitgeberseite regelmäßig der Wunsch nach größtmöglicher Flexibilität, um auf wirtschaftliche Schwankungen angemessen reagieren und gezielte Leistungsanreize setzen zu können (vgl. Reinfelder, NZA-Beilage 2014, 10). Seit Einführung der AGB-Kontrolle auf Grundlage der §§ 305 ff. BGB sind die Anforderungen für Flexibilisierungsvorhalte in Vergütungsregelungen von der Rechtsprechung zunehmend schärfer gefasst worden (vgl. etwa BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 670/10, NZA 2012, 499; Reinfelder, a.a.O., 10; Lembke, NJW 2010, 257 und NJW 2010, 321). Ein Grundlagenurteil in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des Zehnten Senats zur Unwirksamkeit von Stichtagsklauseln, wenn die zugrunde liegende Sonderzahlung auch nur teilweisen Entgeltcharakter aufweist (BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561). In Zukunft könnten weitere, sogar variable Sonderleistungen betroffen sein. Zuletzt betonte etwa das LAG Köln (v. 23.8.2018 – 7 Sa 470/17, NZA-RR 2019, 399), Boni, die zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenserfolg geleistet würden, hätten ebenfalls Entgeltcharakter und könnten nicht an einen Vorbehalt gekoppelt werden. Eine Einordnung, die auch dem BAG in der Vergangenheit zumindest nicht fremd war (vgl. BAG v. 12.4.2011 – 1 AZR 412/09, NZA 2011, 989 – Die Betriebsparteien können den Anspruch auf eine im Synallagma stehende variable Erfolgsvergütung nicht davon abhängig machen, dass das Arbeitsverhältnis zu einem Auszahlungstag außerhalb des Bezugszeitraums vom Arbeitnehmer nicht gekündigt wird. Die Vorenthaltung einer bereits verdienten Arbeitsvergütung ist stets ein unangemessenes Mittel, die selbst bestimmte Arbeitsplatzaufgabe zu verzögern oder zu verhindern.). Leistungs- oder erfolgsbasierte Vergütungsbestandteile unterliegen damit einem erhöhten Risiko, nicht mehr an zusätzliche Bedingungen geknüpft werden zu können (vgl. Sura, ArbRAktuell 2019, 349).

Der nachfolgende Beitrag informiert über die grundlegenden rechtlichen Zusammenhänge der variablen Vergütung, die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung und gibt Hinweise sowie Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen zur rechtssicheren Nutzung des arbeitsvertraglichen Flexibilisierungspotenzials.

II. Erscheinungsformen variabler Vergütung

Die Erscheinungsformen variabler Vergütung (vgl. weiterführend den „Monitor Variable Vergütungssysteme” des BMAS) sind äußerst zahlreich, vielgestaltig und einem steten Wandel ausgesetzt, der nicht zuletzt mit der grundlegenden Änderung der Arbeit und der Arbeitsstrukturen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft einhergeht. Dieser Befund lässt sich exemplarisch gut am Akkordlohn aufzeigen, der in Zeiten der Digitalisierung „aus der Zeit gefallen” wirkt und immer mehr an Bedeutung verliert. Der Grund hierfür besteht in seiner Ausgestaltung (vgl. BAG v. 6.2.1985 – 4 AZR 155/83, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge Textilindustrie; Schwab, NZA-RR 2009, 1). Beim Akkordlohn bildet die vom einzelnen Arbeitnehmer oder einer Gruppe von Arbeitnehmern geleistete Arbeitsmenge den Bezugspunkt für die variable Vergütung („output based incentive”, vgl. Brors, RdA 2004, 273). Da infolge der Digitalisierung und Robotisierung viele gleichförmige Arbeitsabläufe in der Wirtschaft entfallen bzw. von Maschinen übernommen werden und mehr die Qualität denn die Quantität der Arbeitsleistung im Vordergrund steht, hat der Akkordlohn zunehmend ausgedient (vgl. Günther/Boglmüller, NZA-Beilage 2019, 95, 96).

Variable Vergütungssysteme bieten dem Arbeitgeber die Möglichkeit, Arbeitnehmer unmittelbar am Unternehmenserfolg zu beteiligen und damit aufgrund des gleichgerichteten Interesses zu mehr unternehmerischem, verantwortungsvollem Handeln und Denken zu veranlassen (vgl. Grobys/Panzer-Heemeier-Juli, SWK-ArbR 2017, 165, Rn 1). Zudem sollen sie Leistungsanreize für zukünftiges erfolgreiches Handeln i.S.d. Unternehmens setzen und Arbeitnehmer in diesem Sinne dauerhaft motivieren. In der Praxis anzutreffende Erscheinungsformen und teilweise synonym verwandte Begrifflichkeiten sind u.a.:

  • (Ziel-)Bonus in Form der Zielvorgabe oder der Zielvereinbarung (vgl. Lunk/Leder, a.a.O.; Simon/Hidalgo/Koschker, NZA 2012, 1071 – Eine feststehende Definition des Begriffs Bonus existiert nicht. Es handelt sich um einen zusätzlich gewährten, variablen Vergütungsbestandteil, der im Jahresturnus ausgezahlt wird und von der Erreichung persönlicher, team- und/oder unternehmensbezogener Ziele abhängt.),
  • Leistungs- und erfolgsabhängiger Bonus (vgl. BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595 „Leistungsbonus – Bezugnahme auf Dienstvereinbarung”; BAG v. 20.3.2013 – 10 AZR 8/12, NZA 2013, 970 „Leistungsbonus, Festsetzung nach billigem Ermessen”),
  • Ermessensbonus (vgl. BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NJW 2020, 679 „Sonderleistungen nach billigem Ermessen des Aufsichtsrats”; BAG v. 3.8.201...

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