Im Grundgesetz wird das Wort "sozial" nur an wenigen Stellen verwendet (s. Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 und 74 Nr. 12 GG), im Grundrechtskatalog fehlen soziale Grundrechte. Dies bedeutet nicht, dass die Bundesrepublik (als sozialer Staat) der Sozialpolitik wenig Beachtung schenken würde. Für unsere Volkswirtschaft ist der soziale Sektor von großer wirtschaftlicher Tragweite. Die Sozialgesetzgebung und Sozialverwaltung machen den größten Teil staatlichen Handelns aus.

Obwohl im Grundgesetz soziale Grundrechte nicht erwähnt werden entfalten die Grundrechte der Art. 1 bis 19 GG für das Sozialrecht durchaus Bedeutung. Sie weisen dem Gesetzgeber die Grundrichtung sozialer Gestaltung.

Sozialrechtliche Fragen sind häufig Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Kraft ihrer Kompetenz überprüfen das Bundesverfassungsgericht oder die Verfassungsgerichte der Länder in den vorgeschriebenen Grenzen die Verfassungskonformität des Gesetzesrechts. Insbesondere hier kommt es zu vielen Berührungen (Verzahnungen) von Sozialrecht mit dem Staatsrecht. Es muss angesichts des Umfangs einschlägiger höchstrichterlicher Entscheidungen auf die Vorstellung einzelner Judikate verzichtet werden. Hinzuweisen ist lediglich darauf, dass es im Bereich des Leistungsrechts fast immer um folgende Fragen geht:

1.

Ist die Einführung von Einrichtungen (oder deren Erweiterung) verfassungsgemäß?

Das Bundesverfassungsgericht sah in der Einführung der Künstlersozialversicherung keinen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG (BVerfGE 75, 108 ff.)

Der Eingriff berühre zwar die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, sei aber statthaft, weil die Einführung der Versicherungspflicht verhältnismäßig sei.

2.

Welche Anforderungen sind an die Ausgestaltung der Sozialleistungssysteme zu stellen?

Gegenstand verfassungsrechtlicher Überlegungen sind häufig im Hinblick auf die Ausgestaltung des Sozialrechts die Feststellung des in Betracht kommenden Personenkreises und die Bedingungen der Leistungen im Einzelfall. Zu prüfen ist dann die Frage der Vereinbarkeit begünstigender Sozialleistungen mit dem Gleichheitssatz.

3.

Welche Grenzen sind bei der Einschränkung (oder dem Entzug) von Sozialrechten zu beachten?

Es ist fraglich, ob gesetzliche Einschränkungen von Sozialleistungsrechten verfassungsrechtlich zulässig sind. Das Bundesverfassungsgericht misst Gesetze heute an Art. 14 GG (früher Art. 2 Abs. 1 GG) und erstreckt die Eigentumsgarantie auf sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften, weil diese wie klassisches Eigentum die Lebensführung des Begünstigten sicherten (heute Art. 14 GG: BVerfGE 53, 257 ff., bis dahin Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfGE 36, 73 ff.).

Angesichts der Bedeutung des Sozialrechts ist zu beklagen, dass es in der Juristenausbildung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Das kann zur Folge haben, dass es zu einer unreflektierten, exotisch anmutenden Materie zu verkommen droht, die nur noch von einer kleinen Gruppe von Experten verstanden wird.

Vor einer solchen Entwicklung ist zu warnen. Im Hinblick auf den speziellen Kreis der Betroffenen wäre es wünschenswert, wenn die Normen des Sozialrechts grundsätzlich klar und verständlich wären. Von einem solchen Ideal sind wir weit entfernt.

So haben sich die Klagen in SGB II-Angelegenheiten (Hartz IV) zu einer Klageflut entwickelt, die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit besonders belastet. Nach allgemeiner Auffassung sind die eingetretenen Probleme (Überlastung, Verzögerungen bei der Bearbeitung der Verfahren etc.) u.a. auf die mangelnde Gesetzesqualität zurückzuführen. Selten ist übrigens ein Gesetz auf eine so breite Ablehnung der Normadressaten gestoßen.

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