Erscheint eine spätere Verurteilung unvermeidbar, ist zu prüfen, ob ein Ausnahmefall in Betracht kommt, der es trotz der Erfüllung eines Regelbeispiels gem. § 69 Abs. 2 StGB ermöglicht, von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen.

Die Anforderungen sind freilich hoch: Nach der Rechtsprechung kann vom Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis nur bei seltenen Ausnahmen abgewichen werden; etwa wenn die Tat selbst Ausnahmecharakter hat, die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft gleiche oder ähnliche Taten nicht mehr begehen wird, oder wenn ganz besondere vor oder nach der Tat liegende Umstände objektiver oder subjektiver Art festgestellt sind, die den Eignungsmangel entfallen lassen.

 

Hinweis:

Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn es sich bei dem Beschuldigten um einen Ersttäter mit langjähriger unbeanstandeter Fahrpraxis handelt (König in: König/Hentschel/Dauer, a.a.O., § 69 StGB, Rn 19a).

Es müssen vielmehr besondere Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalls deutlich abheben (OLG Stuttgart NStZ-RR 1997, 178). Großzügige Maßstäbe bei der Eignungsbeurteilung sind unangebracht (Fischer, a.a.O., § 69, Rn 34).

Handelt es sich bei dem Beschuldigten um einen Wiederholungstäter, gegen den bereits früher Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB verhängt worden waren, sind an eine Widerlegung der Regelvermutung nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen; sie wird nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden können (OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2015 – 5 RVs 125/15).

Zu beachten ist auch, dass bei der Erfüllung eines Regelbeispiels grundsätzlich keine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr stattfindet, § 69 Abs. 1 S. 2 StGB. Der Gesetzgeber geht insoweit davon aus, dass die Maßregel bei Ungeeignetheit stets verhältnismäßig ist.

 

Praxishinweis:

Aufgrund der strengen Anforderungen an das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat der Verteidiger, sei es im Ermittlungs-, sei es im Hauptverfahren, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis besonders sorgfältig darzulegen. Unsubstantiierte und floskelhafte Ausführungen, wonach die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis den Beschuldigten "besonders hart treffe", dieser aus beruflichen Gründen "dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen" sei oder allgemein gehaltene Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit versprechen keinen Erfolg.

1. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315c StGB

Bei vorsätzlicher Tatbegehung wird ein Ausnahmefall nur selten vorliegen. Dagegen kommt, wenn die Tat durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten begangen wird (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB), eine Ausnahme namentlich bei nur fahrlässig rücksichtsloser Fahrweise in Betracht (König in: König/Hentschel/Dauer, a.a.O., § 315c StGB, Rn 18).

2. Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB

Bei Trunkenheitsfahrten ist zunächst zu beachten, dass der Umstand, dass die Tat fahrlässig begangen wurde, alleine noch nicht zu einem Ausnahmefall führt. Gleiches gilt für eine "nur" relative Fahruntüchtigkeit (vgl. OLG Stuttgart NZV 1997, 316).

Am ehesten wird die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt sein, wenn der Täter nur eine ganz kurze Strecke zurücklegt ("umparken" um wenige Meter, kurze Fahrt auf einem öffentlichen Parkplatz) oder sich in einer notstandsähnlichen Situation befindet (Einzelbeispiele bei Fischer, a.a.O., § 69, Rn 26).

Die Teilnahme an einem Nachschulungskurs oder einem Aufbauseminar führt nicht zwangsläufig zur Widerlegung der Regelvermutung; insoweit verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise (Fischer, a.a.O., Rn 36). Dennoch kann die erfolgreiche Teilnahme an einer Nachschulung erheblich zugunsten des Beschuldigten sprechen, insbesondere wenn weitere Umstände, die eine Ausnahme rechtfertigen, hinzukommen (nachgewiesene mehrmonatige Abstinenz, Einholung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens, AG München StraFo 2012, 24).

Derartige Maßnahmen lassen sich allerdings nur mit erheblichem Zeitaufwand umsetzen und werden daher im Ermittlungsverfahren, wenn die Tat noch nicht lange zurückliegt, kaum einmal dazu führen können, dass von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen bzw. die Maßnahme aufgehoben wird, es sei denn, das Verfahren wird nicht mit der gebotenen Beschleunigung geführt.

 

Hinweis:

Die Teilnahme an einem Nachschulungskurs oder einem Aufbauseminar ist jedoch auch dann sinnvoll, wenn sich, etwa aus Zeitgründen, die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht vermeiden lässt. Mit derartigen Maßnahmen lässt sich oftmals eine vorzeitige Aufhebung der Sperrfrist gem. § 69a Abs. 7 StGB erreichen (hierzu Burhoff in: Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 1. Aufl. 2016, Teil A, Rn 435 ff.).

3. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB

Im Gegensatz zur Trunkenheitsfahrt können die Umstände, die beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort für einen Ausnahmefall sprechen, i.d.R. bereits frühzeitig vorgebracht werden. So kommt ein Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis insbesondere in Betracht, wenn der Beschuldigte innerhalb von 24 Stunden nach dem Unf...

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