Trunkenheitsfahrt: Kraftfahrzeugeigenschaft von  E-Rollern

Das LG Göttingen stuft E-Roller als Kraftfahrzeuge ein. Eine Trunkenheitsfahrt auf einem E-Roller kann deshalb die Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich ziehen. Die Entscheidung des LG ist nicht unumstritten.

Die aktuelle Entscheidung des LG Göttingen betrifft die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis im Falle eines E-Roller-Lenkers (auch E-Scooter), bei dem eine Blutalkoholkonzentration von 1,84 Promille gemessen wurde.

AG verneinte Kraftfahrzeugeigenschaft von E-Scootern

Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Fahrer ein und beantragte, ihm die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen und seinen Führerschein zu beschlagnahmen. Das AG lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis lägen nicht vor, da der Beschuldigte kein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Ein E-Roller sei kein Kraftfahrzeug im Sinne des StGB.

Staatsanwaltschaft stellt auf Verurteilungswahrscheinlichkeit im Hauptverfahren ab

Gegen den Beschluss des AG legte die Staatsanwaltschaft (StA) Beschwerde mit der Begründung ein, das gegen den Beschuldigten eingeleitete Ermittlungsverfahren würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung gemäß § 316 StGB wegen Trunkenheit in Straßenverkehr führen. Gemäß § 69 StGB würde das zuständige Gericht ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fahrerlaubnis entziehen, so dass eine vorläufige Entziehung gerechtfertigt und zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer erforderlich sei.

Maßgebliche Rechtsvorschriften

Gemäß § 111 a StPO ist die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, wenn konkrete Umstände ersichtlich sind, die eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis wahrscheinlich erscheinen lassen. Die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis ist in § 69 StGB geregelt. Danach ist die Fahrerlaubnis u.a. dann zu entziehen, wenn eine Person „im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs“ wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wird und sich aus dieser Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Als Regelbeispiel für eine solche rechtswidrige Tat nennt § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 StGB.

Einstufung von E-Scootern als Kraftfahrzeuge umstritten

Im Hinblick auf Trunkenheitsfahrten auf E-Rollern besteht in der Rechtsprechung Uneinigkeit über die Einstufung von E-Rollern als Kraftfahrzeuge. Nur bei Einstufung von E-Rollern oder E-Scootern als Kraftfahrzeuge ist die tatbestandliche Voraussetzung einer rechtswidrigen Tat „im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs“ erfüllt. Im konkreten Fall hatte das erstinstanzliche AG die Einstufung als Kraftfahrzeug verneint und deshalb die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis abgelehnt.

E-Scooter bewegen sich allein durch Motorkraft

Das Beschwerdegericht sah dies anders. Nach Auffassung des LG handelt es sich bei einem E-Roller um ein vollmotorisiertes Fahrzeug. E-Roller könnten ohne Einsatz eigener Körperkraft bewegt werden. Dies unterscheide sie von Fahrrädern mit Hilfsmotor (Pedelecs), bei denen der Einsatz eigener Körperkraft ein entscheidender Faktor für das Tempo der Fortbewegung sei. Im Vergleich zu Fahrrädern sei die Bedienung eines E-Rollers auch deutlich komplizierter. Ohne unterstützende Körperkraft des Fahrers seien sie in der Lage, jederzeit ihre Höchstgeschwindigkeit zu erreichen.

Mit dem Instrument der (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis bezwecke das Gesetz die Eindämmung exakt die Gefahr einer alkoholbedingten Gefährdung

Vor diesem Hintergrund bewertete das LG die von einem E-Roller ausgehende Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer, der von einem alkoholisierten Fahrer geführt wird, als besonders hoch ein. Die Gefahr, dass ein alkoholisierter Fahrer infolge psychischer Enthemmung einen E-Roller mit einer Geschwindigkeit fährt, die er nicht mehr kontrollieren kann, sei nicht von der Hand zu weisen. Mit dem Instrument der (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis bezwecke das Gesetz die Eindämmung exakt dieser Gefahren, so dass die Einstufung von E-Rollern als Kraftfahrzeuge auch dem Sinn und Zweck der entsprechenden Strafvorschriften gerecht werde.

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war gerechtfertigt

Im Ergebnis bewertete das LG die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StGB daher als gerechtfertigt und gab der Beschwerde der StA statt

(LG Göttingen, Beschluss v. 10.6.2022, 2 Qs 18/22)

Hintergrund:

Die Entscheidung des LG Göttingen korrespondiert mit den Entscheidungen mehrerer anderer Landgerichte, die mit ähnlicher Argumentation wie das LG Göttingen E-Roller als Kraftfahrzeuge einordnen (LG München 1, Beschluss v. 30.10.2019 , 1 J Qs 24/19; LG Münster, Beschluss v. 19.12.2019,  3 Qs-61/19). Das LG Dortmund ist demgegenüber der Ansicht, dass ein E-Scooter angesichts seines Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit von seiner Gefährlichkeit her eher mit einem konventionellen Fahrrad oder einem Pedelec zu vergleichen ist und deshalb im Sinne des § 69 StGB auch begrifflich nicht als Kraftfahrzeug eingestuft werden kann (LG Dortmund, Beschluss v. 7.2.2020, 31 Qs 1/20).

LG Halle sieht geringeres Gefährdungspotenzial

Das LG Halle hat einen amtsgerichtlichen Beschluss über die Entziehung der Fahrerlaubnis gegenüber einem E-Scooter-Fahrer mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,28 Promille mit der Begründung aufgehoben, entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sei bei einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Roller davon auszugehen, dass das Gefährdungspotenzial bei einem solchen Fahrzeug deutlich geringer sei als bei klassischen Kraftfahrzeugen wie Pkws, Lkws und Krafträdern. Ob der E-Roller begrifflich als Kraftfahrzeug im Sinne des § 69 StGB einzustufen sei, ließ das LG ausdrücklich offen (LG Halle, Beschluss v. 16.7.2020, 3 Qs 81/20).

Das StVG enthält eine eigene Definition des Begriffs des Kraftfahrzeugs

Eine Definition, was ein Kraftfahrzeug ist, enthält § 1 StVG. Gemäß § 1 Abs. 2 StVG sind Kraftfahrzeuge Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Gemäß § 1 Abs. 3 StVG sind Fahrzeuge, die durch Muskelkraft fortbewegt werden und mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nenndauerleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind, die beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25 KMH aussetzt, keine Kraftfahrzeuge. Ob diese Definition 1 zu 1 auf den Kraftfahrzeugbegriff des StGB anzuwenden ist, ist ebenfalls nicht unstrittig.



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