Die vorangegangenen Ausführungen sind auch dann von Relevanz, wenn auf Seiten einer Partei mehrere beigeordnete Rechtsanwälte mitgewirkt haben. Gegenüber dem „frei” zustande gekommenen Anwaltsvertrag treten hier darüber hinaus noch die vergütungsrechtlichen Sonderregelungen der §§ 4554 RVG hinzu.

 

Hinweis:

Das grds. beiderseitige Kündigungsrecht aus § 627 Abs. 1 BGB erfährt (nur) für den beigeordneten Rechtsanwalt eine Einschränkung. Bevor dieser den privatrechtlichen Mandatsvertrag kündigen kann, muss er die Aufhebung seiner öffentlich-rechtlichen Beiordnung beantragen. Eine davor ausgesprochene Kündigung ist wegen des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz gem. § 134 BGB i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO nichtig (dazu Aly, a.a.O., S. 39 ff.).

§ 45 Abs. 1 RVG gesteht dem beigeordneten Rechtsanwalt einen unmittelbaren Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu. Dieser ist öffentlich-rechtlicher Natur und weist zudem einen bürgschaftsähnlichen Charakter auf (vgl. nur Schneider/Wolf/Fölsch, RVG, 8. Aufl. 2017, § 45 Rn 7; BeckOK/Sommerfeldt, RVG, Stand 1.3.2021 [51. Edition], § 45 Rn 3). Die durch die Beiordnung begründete Dreiecksbeziehung zwischen dem Anwalt, der Partei und dem Fiskus stellt sicher, dass einerseits die Partei anwaltlich vertreten wird und andererseits der Anwalt sein Honorar erhält. Während § 628 Abs. 1 S. 2 BGB die Herabsetzung der Vergütung im Verhältnis des Anwalts zum Mandanten regelt, bestimmt § 54 RVG, unter welchen Umständen der beigeordnete Rechtsanwalt die Gebühren gegenüber der Staatskasse nicht einfordern darf. Dies ist der Fall, wenn er durch schuldhaftes Verhalten die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts veranlasst hat und die betreffenden Gebühren auch für diesen entstehen.

Im Folgenden soll näher untersucht werden, inwieweit Sinn und Zweck der §§ 45, 54 RVG (s.u. III. 1.) möglicherweise eine entsprechende Anwendung des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB erfordern (s.u. III. 2.) und, ob eine solche wiederum zulässig ist (s.u. III. 3.).

1. Telos: Keine Besserstellung des Anwalts durch die öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung

Ohne einen eigenständigen Anspruch gegen die Staatskasse bliebe der Rechtsanwalt jedenfalls bei der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe regelmäßig ohne Lohn für seine Arbeit, da sein Vergütungsanspruch gegen die Partei grds. nicht durchsetzbar ist, § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Wenngleich § 45 Abs. 1 RVG eine derartige Doppelbelastung durch Kontrahierungszwang und Vergütungsausfall verhindern soll, entspricht es nicht dem Telos der Norm, den Anwalt durch die öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung zum Staat hinsichtlich der Anspruchshöhe besser zu stellen als bei einer rein privatrechtlichen Mandatierung (Henssler/Deckenbrock MDR 2005, 1321, 1324). Ganz im Gegenteil ist es sogar offensichtlich, dass die Beiordnung für den Anwalt weniger lukrativ ist. So hat der Gesetzgeber in § 49 RVG geringere Gebühren festgelegt, als sie der Rechtsanwalt sonst fordern kann. Dies erachtet er auf der einen Seite zwar als notwendig, um einen billigen Ausgleich zwischen den Belangen des Rechtsanwalts und denjenigen der Allgemeinheit herstellen zu können (vgl. BT-Drucks 2/2545, S. 271). Auf der anderen Seite ist die Norm aber auch Ausdruck dessen, dass dem Anwalt nur eine angemessene Entschädigung, jedoch kein voller Ausgleich zukommen soll (OLG Hamm DB 1970, 2317, 2318). Die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber den Rechtsanwalt durch die Beiordnung nicht besserstellen möchte, sondern v.a. um die Schonung des öffentlichen Haushalts bedacht ist, sieht sich durch § 54 RVG bestätigt. Diese Bestimmung soll verhindern, dass die Staatskasse dieselben Gebühren an zwei verschiedene Rechtsanwälte, also doppelt zahlen muss (BT-Drucks 2/2545, S. 272 f.).

2. Tatbestände von § 54 RVG und § 628 Abs. 1 S. 2 BGB im Vergleich

Nicht wenige vertreten die Ansicht, dass der Gesetzgeber den Rechtsgedanken des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB in das anwaltliche Gebührenrecht übertragen hat und man diesen dort nun in § 54 RVG wiederfindet (BeckOK/Sommerfeldt, a.a.O., Vorb. § 54; NK/Klees, a.a.O., § 54 Rn 1; Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG, 10. Aufl. 2015, § 54 Rn 2). Soweit ersichtlich, ist das Schrifttum einen Nachweis für diese Annahme bisher allerdings schuldig geblieben. Dies verwundert. Denn ob der Gesetzgeber hinsichtlich der Vergütungsherabsetzung wirklich für einen Gleichlauf zwischen dem „frei” mandatierten und dem beigeordneten Anwalt gesorgt hat, lässt sich nur anhand eines eingehenden Vergleichs beider Tatbestände beurteilen.

a) Gemeinsamkeiten

Gemeinsamkeiten ergeben sich offensichtlich hinsichtlich des Umfangs der Anspruchskürzung. Denn während § 54 RVG die Kürzung des Anspruchs gegen die Staatskasse ausdrücklich in der Höhe vorsieht, in welcher dieselben Gebühren für einen weiteren Anwalt nochmals anfallen, entspricht dies bei § 628 Abs. 1 S. 2 BGB der vorherrschenden Auslegungsweise. Weiter haben § 54 RVG und § 628 Abs. 1 S. 2 BGB gemein, dass der erste Anwalt den Wechsel in seiner Person und damit die Mehrkosten „veranlasst” haben muss. Während das Kausalitätserfordernis bei § 54 RVG unstreitig ist, entspricht die Annahme eines solchen bei § 628 Abs. 1 S. 2 BGB jedenfalls der herrschenden Auffassung (dazu Aly, ...

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