Erneut mussten die Gerichte sich zur Rechtsfigur des standardisierten Messverfahrens äußern. Dabei handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322). Bei seiner Verwendung greift ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ein: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es in aller Regel konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf.

Bei den in Rede stehenden Messgeräten erfolgt eine Prüfung und Bauartzulasung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB; näher Schmedding NZV 2016, 20). Zugleich ist gerichtlich oder privat eingesetzten Sachverständigen aber vielfach der unmittelbare Zugang zu den Daten sowie entsprechenden Herstellerinformationen verwehrt (Black Box). Das OLG Bamberg (DAR 2016, 146 = VRR 2/2016, 12 [Deutscher]) hat die Grundsätze der Obergerichte zu diesem Spannungsfeld zusammengefasst (krit. Deutscher a.a.O.):

Zitat

"Der in Kenntnis aller maßgeblichen Herstellerinformationen erfolgten Bauartzulassung durch die PTB kommt die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist und weitere Informationen zu seiner Funktionsweise entbehrlich sind. Bei Vorliegen eines geeichten Geräts, welches durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt wurde, ist damit die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts indiziert mit der Folge, dass für die Annahme einer rechtlichen Unverwertbarkeit der Messergebnisse auch dann kein Raum verbleibt, wenn ein beauftragter Sachverständiger, etwa mangels Zugangs zu den patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen, die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann. Eine nähere (tatrichterliche) Überprüfung des Messwertes ist nur geboten, wenn sich im Einzelfall bestimmte Anhaltspunkte ergeben, die geeignet sind, konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder sachgerechten Handhabung des eingesetzten standardisierten Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen. Sollen die behaupteten Fehlerquellen dagegen nicht in dem konkret durchgeführten Messvorgang selbst, sondern allgemein oder strukturell in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware des Messgerätes angelegt sein, müssen bei dem Tatrichter Zweifel an der Richtigkeit der Messung erst dann aufkommen, wenn sich Umstände ergeben, die es im konkreten Einzelfall als plausibel erscheinen lassen, dass die Messung trotz der Zulassung des Messgeräts durch die PTB fehlerbehaftet sein könnte."

Die Tatgerichte sehen das teilweise abweichend. Das AG Landstuhl (DAR 2016, 39) gibt dem Betroffenen einen Anspruch auf Übermittlung der unverschlüsselten Rohmessdaten (hier: ES 3.0) des Messtages zwecks Überprüfung durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Hat die Zentrale Bußgeldstelle seitens des Messgeräteherstellers nur verschlüsselte Daten zur Verfügung gestellt bekommen, ist der Gerätehersteller zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen verpflichtet, dem seitens der Behörde oder des Gerichts benannten Sachverständigen den Code zur Entschlüsselung der Daten des Messtages zu übermitteln, ohne dass dem Hersteller dafür die Daten des Messtages übersendet werden müssten (noch weitergehend AG Mannheim DAR 2016, 95, das dann auf Freispruch erkennt).

 

Hinweis:

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Einführung des neuen Mess- und EichG ab dem 1.1.2015 (hierzu Schade/Hollinger DAR 2016, 50) auf Theorie und Praxis des standardisierten Messverfahrens auswirken wird. Mit dieser Thematik hat sich auch der AK V des 54. Verkehrsgerichtstags im Januar 2016 befasst ( http://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de/images/empfehlungen_pdf/empfehlungen_54_vgt.pdf ).

Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl FG21-P ist ein standardisiertes Messverfahren (OLG Bamberg NStZ-RR 2016, 29 = VRR 2/2016, 12 [Deutscher]). Hierzu zählt nach der allerdings nicht unbestrittenen Rechtsprechung der Obergerichte auch die Verwendung des Geräts PoliScan Speed. Unerlässlich bleibt im Urteil aber neben der Angabe des angewandten Messverfahrens auch die Mitteilung, ob und in welcher Höhe ein Toleranzabzug vorgenommen worden ist (OLG Bamberg DAR 2016, 90, s.a. AG Michelstadt NZV 2015, 607). Ein eichrechtliches Verwertungsverbot (§ 25 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 EichG a.F.) soll beim Verkehrsüberwachungsgerät "ProViDa 2000 Modular" nicht daraus folgen, dass die Eichbehörde die Kabellänge zwischen...

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