Neu: Hinweispflicht des Gerichts und Rechtskrafterstreckung auf Nichtigkeitsgründe entfallen

Das in Zukunft geltende Verfahrensrecht übernimmt weder die Hinweispflicht des Gerichts noch die weitere Besonderheit, dass sich die Rechtskraft eines klageabweisenden Anfechtungsurteils auch auf Nichtigkeitsgründe erstreckt. Der Gesetzgeber ordnet seine ursprünglichen Ziele der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens[1] "einheitlichen prozessrechtlichen Grundsätzen der Urteilswirkung[2]" unter. Er rekurriert dabei auf § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG und die allgemeine Streitgegenstandslehre.[3] Insoweit eröffnet er interessante Perspektiven für die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage, auch wenn die gegen denselben Beschluss gerichtete Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen wurde.

Nicht nur hinsichtlich der künftigen Möglichkeit einer Teilnahme an Wohnungseigentümerversammlungen in elektronischer Form, sondern auch bezüglich des Systems von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, nähert der Gesetzgeber die Wohnungseigentümergemeinschaft immer mehr dem Aktienrecht an. Mag dies mit Blick auf die Wohnungseigentümerversammlung noch zu befürworten sein, überspannt er den Bogen allerdings mit den Neuerungen zum Prozessrecht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum gerade im Bereich des Wohnungseigentumsrechts streitige Probleme der Begriffe des Streitgegenstands und der Rechtskrafterstreckung virulent werden müssten – auch wenn grundsätzlich zuzugeben ist, dass sich die alte Rechtslage nicht vollständig in das prozessrechtliche System der Urteilswirkung eingefügt hat.

Jedenfalls dürfte nunmehr durchaus denkbar sein, dass Nichtigkeitsgründe außerhalb der Anfechtungsfrist des § 45 Satz 1 WEG n. F. nachgeschoben werden können, obwohl eine Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen worden ist.

Rechtsschutzziel

Zunächst haben Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage dasselbe Rechtsschutzziel. Als kassatorische Gestaltungsklagen sind sie auf richterliche Unwirksamkeitserklärung eines Beschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann gerichtet. Da es sich lediglich um eine Rechtsfrage handelt, ob ein Beschluss anfechtbar oder nichtig ist, ist es unerheblich, ob der Kläger lediglich eine Anfechtungsklage erhebt. Das Gericht ist von Amts wegen verpflichtet, den Beschluss auch auf Nichtigkeitsgründe zu überprüfen. Entsprechendes gilt umgekehrt dann, wenn der Kläger innerhalb der Fristen des § 45 WEG n. F. eine Nichtigkeitsklage erhebt, der Beschluss allerdings nur unter Anfechtungsmängeln leidet. Dieser bereits nach bisherigem Recht geltende Grundsatz[4] ergibt sich künftig bereits aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 WEG n. F. Ändern die Wohnungseigentümer etwa pauschal und unbeschränkt auf Grundlage von § 16 Abs. 2 WEG n. F. den geltenden Kostenverteilungsschlüssel und trägt der Wohnungseigentümer in seiner verfristeten Anfechtungsklage vor, dies sei aus bestimmten Gründen willkürlich und somit ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechend, kann das Gericht dennoch die Nichtigkeit des Beschlusses wegen fehlender Beschlusskompetenz feststellen.[5]

Streitgegenstandslehre

Um das Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage klären zu können, bedarf es eines kurzen Blicks auf die Streitgegenstandslehre. Diese ist zwar auch umstritten, allerdings gehen sowohl die herrschende Meinung als auch der BGH vom zweigliedrigen Streitgegenstand aus.[6]

Nach der Theorie des eingliedrigen Streitgegenstands kommt es allein darauf an, was der Kläger begehrt. Unerheblich ist, aus welchem Grund er es begehrt. Übertragen auf Beschlussmängel, ist also entscheidend, dass der Wohnungseigentümer den Beschluss aufgehoben sehen will – egal weshalb. Wird seine Klage abgewiesen, könnte auch kein anderer Wohnungseigentümer mehr Beschlussmängel geltend machen, die ebenfalls zur Aufhebung des Beschlusses führen sollen.

Nach der Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstand besteht der Streitgegenstand zum einen aus dem Ziel des Klägers, zum anderen aus dem vorgetragenen Lebenssachverhalt, aus dem sich das Begehren herleitet.

Zum näheren Verständnis ist ein Blick auf das Aktienrecht und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH zu werfen, die im Bereich des Wohnungseigentumsrechts jedenfalls entsprechend anwendbar sein dürfte. Das Aktiengesetz (AktG) regelt in § 246 AktG die Anfechtungsklage und in § 249 AktG die Nichtigkeitsklage. Korrespondierend mit der Rechtslage im Wohnungseigentumsrecht, muss die Anfechtungsklage des Aktienrechts nach § 246 Abs. 1 AktG ebenfalls innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung erhoben werden. Ebenfalls korrespondierend mit dem Wohnungseigentumsrecht, ist die nach § 249 AktG mögliche Nichtigkeitsklage nicht an diese Monatsfrist gebunden. Da die Rechtslage nach Inkrafttreten des WEMoG nicht mehr vorsieht, dass eine Nichtigkeitsklage nicht mehr möglich sein wird, wenn eine Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen worden ist, muss sie zunächst einmal grundsätzlich möglich sein.

Im Jahr 2002 hat der BGH[7] dem zweigliedrigen Streitgegenstand für den Bereich de...

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