Um das Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage klären zu können, bedarf es eines kurzen Blicks auf die Streitgegenstandslehre. Diese ist zwar auch umstritten, allerdings gehen sowohl die herrschende Meinung als auch der BGH vom zweigliedrigen Streitgegenstand aus.[1]

Nach der Theorie des "eingliedrigen Streitgegenstands" kommt es allein darauf an, was der Kläger begehrt. Unerheblich ist, aus welchem Grund er es begehrt. Übertragen auf Beschlussmängel, ist also entscheidend, dass der Wohnungseigentümer den Beschluss aufgehoben sehen will – egal weshalb. Wird seine Klage abgewiesen, könnte auch kein anderer Wohnungseigentümer mehr Beschlussmängel geltend machen, die ebenfalls zur Aufhebung des Beschlusses führen sollen.

Nach der Lehre vom "zweigliedrigen Streitgegenstand" besteht der Streitgegenstand zum einen aus dem Ziel des Klägers, zum anderen aus dem vorgetragenen Lebenssachverhalt, aus dem sich das Begehren herleitet.

Zum näheren Verständnis ist ein Blick auf das Aktienrecht und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH zu werfen, die im Bereich des Wohnungseigentumsrechts jedenfalls entsprechend anwendbar sein dürfte. Das Aktiengesetz (AktG) regelt in § 246 AktG die Anfechtungsklage und in § 249 AktG die Nichtigkeitsklage. Korrespondierend mit der Rechtslage im Wohnungseigentumsrecht, muss die Anfechtungsklage des Aktienrechts nach § 246 Abs. 1 AktG ebenfalls innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung erhoben werden. Ebenfalls korrespondierend mit dem Wohnungseigentumsrecht, ist die nach § 249 AktG mögliche Nichtigkeitsklage nicht an diese Monatsfrist gebunden. Da die Rechtslage nach Inkrafttreten des WEMoG nicht mehr vorsieht, dass eine Nichtigkeitsklage nicht mehr möglich sein wird, wenn eine Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen worden ist, muss sie zunächst einmal grundsätzlich möglich sein.

Im Jahr 2002 hat der BGH[2] dem zweigliedrigen Streitgegenstand für den Bereich des Aktienrechts eine Absage erteilt und klargestellt, dass die gesamten, der Entstehung des Beschlusses zugrundeliegenden Umstände einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellen, unabhängig davon, ob der Kläger diese zum Vortrag seiner Klage gemacht hat. Hiervon ist er später allerdings mit der Klarstellung abgerückt, dass der Streitgegenstand der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage durch den Klageantrag sowie die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe als Teil des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts bestimmt wird.[3]

Hieraus schließt die h. M. für den Bereich des Aktienrechts, dass eine erneute Klage gegen denselben Hauptversammlungsbeschluss dann zulässig ist, wenn sie auf neue Gründe gestützt wird, die im ersten Prozess nicht Gegenstand der Prüfung waren. Allerdings kann dies wiederum mit Blick auf die BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2015[4], in der zwar auf "vorgetragene Umstände" abgestellt, gleichzeitig aber gerade auch auf die Entscheidung aus 2002 Bezug genommen wird, mit der Konsequenz in Zweifel gezogen werden, der BGH stütze gerade nicht die herrschende Meinung.

Die im Bereich des Aktienrechts bestehende Unsicherheit vermag demnach wenig fruchtbringend das Verhältnis der Anfechtungs- zur Nichtigkeitsklage im Wohnungseigentumsrecht zu erhellen, weshalb insoweit einmal über den Tellerrand hinaus die übrige Rechtsprechung des BGH zu Streitgegenstand und Rechtskrafterstreckung bemüht sei. Hiernach werden von der Rechtskraft sämtliche materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des Antrags aus dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt herleiten lassen – und zwar unabhängig davon, ob sämtliche rechtserheblichen Tatsachen des Lebensvorgangs vorgetragen werden.[5] Hieraus dürfte Folgendes abzuleiten sein: Macht ein Wohnungseigentümer etwa im Rahmen seiner Anfechtungsklage geltend, ein Beschluss widerspreche wegen eines Verstoßes gegen den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz ordnungsmäßiger Verwaltung, und wird seine Klage abgewiesen, dürfte – sähe man als Lebenssachverhalt die Versammlungsdurchführung an – nicht mehr geltend gemacht werden können, der Beschluss sei nichtig, weil zuvor einer der Wohnungseigentümer rechtswidrig von einer weiteren Versammlungsteilnahme ausgeschlossen worden ist. Die herrschende Meinung im Bereich des Aktienrechts zugrunde gelegt, müsste der Nichtigkeitsgrund allerdings noch geltend gemacht werden können.

Andererseits kann sich der Streitgegenstand einer Anfechtungsklage von dem einer Nichtigkeitsklage auch im Fall des Angriffs auf ein und denselben Beschluss dann unterscheiden, wenn jeweils unterschiedliche Beschlussmängel geltend gemacht werden, die einem anderen Lebenssachverhalt zuzuordnen sind und das materielle Recht zusammentreffende Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet.[6] Bemängelt der Kläger etwa nur das Fehlen ausreichender Vergleichsangebote und weist das Gericht die Klage ab, weil es im konkreten Fall ausnahmsweise keiner Vergleichsangebote bedurfte, konnte ...

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