Leitsatz

Mit Urteil vom 16.3.2004 hat das OLG München entschieden, dass eine börsennotierte Aktiengesellschaft (hier: ComROAD AG) gegenüber einem Aktionär auf Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB haftet, wenn der Vorstand Ad-hoc-Mitteilungen i.S.v. § 15 WpHG veröffentlicht, die höhere Umsätze vortäuschen, um den Aktienkurs in die Höhe zu treiben. Allerdings besteht der Anspruch nach Auffassung des Gerichts nur insoweit, als ein gemäß § 57 AktG ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist.

 

Hinweis

Es handelt sich um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB, wenn der Vorstand oder das Vorstandsmitglied falsche Umsatzzahlen bekannt gibt und dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Aktienkurs einbricht, sofern die falschen Umsatzzahlen bekannt werden, und die Anleger infolgedessen geschädigt werden. Das bedeutet praktisch, dass der Vorsatz in den Fällen der bewussten Irreführung der Anleger regelmäßig zu bejahen ist.

Die Entscheidung des Anlegers, die Aktie zu kaufen, und damit auch der spätere Schaden, beruhe nach Ansicht des Gerichts regelmäßig auf dieser Irreführung (Kausalität), wenn die Irreführung vor dem Kauf erfolgte. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Anleger die Aktien nicht gekauft hätte, wenn er die deutlich niedrigeren Umsatzzahlen gekannt hätte - das Gericht ging insoweit von einem "Anscheinsbeweis" zu Gunsten des Anlegers aus. Es wäre daher im Einzelfall Sache der AG und ihres Vorstands gewesen, Umstände vorzutragen, die diesen Beweis des ersten Anscheins erschüttern; dies würde in der Praxis zumeist misslingen. Auch in dem vom OLG München entschiedenen Fall misslang dies hinsichtlich der weit überwiegenden Aktienkäufe; nur diejenigen Käufe, die erst erfolgten, als erste Anhaltspunkte für die falschen Umsatzzahlen bekannt waren, beruhten nach Ansicht des Gerichts nicht mehr (kausal) auf der Irreführung.

Nach Auffassung des OLG München scheitere die Haftung gemäß § 826 BGB jedoch insoweit an § 57 AktG, als kein ausschüttungsfähiger Gewinn in der AG vorhanden ist. Das wird in den Fällen, bei denen irreführende Angaben gemacht wurden, um die börsennotierte AG noch zu erhalten, häufig der Fall sein. Insoweit sei nach Auffassung des OLG München dem § 57 AktG zugrunde liegenden Grundsatz der Kapitalerhaltung und damit dem Schutz der Gläubiger der AG der Vorrang gegenüber dem Schutz der getäuschten Anleger einzuräumen. Die Anleger könnten ihren Schadensersatzanspruch dann praktisch in den meisten Fällen nur gegen die (ebenfalls) persönlich gemäß § 826 BGB haftenden Vorstandsmitglieder geltend machen.

Hinweis auf Entscheidungen des BGH vom 9.5.2005 (II ZR 287/02 - EM.TV AG-), vom 28.11.2005 (II ZR 80/04 - ComROAD) und vom 4.6.2007 (II ZR 147/05 - ComROAD IV - und II ZR 173/05 - ComROAD V-):

Mit seinem Urteil vom 9.5.2005 (EM.TV AG) hat der BGH inzwischen dem OLG München widersprochen und entschieden, dass Schadensersatzansprüche der Anleger, die auf der Verletzung einer kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflicht (hier: § 15 WpHG) beruhen nicht am Grundsatz der Kapitalerhaltung (hier: § 57 AktG) scheitern. Der deliktische Anspruch der Anleger aus § 826 BGB beruhe weniger auf ihrer Stellung als Aktionär, sondern in erster Linie auf der Verletzung der gesetzlichen Publizitätspflicht - die Zahlung der AG an den Anleger sei daher nicht als Rückgewähr von Einlagen i.S.v. § 57 AktG, sondern wie die Befriedigung eines normalen Gläubigers anzusehen. Diese Rechtsprechung hat der BGH zuletzt in seinen Urteilen vom 28.11.2005 (ComROAD) und vom 4.6.2007 (ComROAD IV und V) bestätigt. Insoweit stärkte der BGH die Rechte der Anleger und bejaht einen Schadensersatzanspruch selbst dann, wenn kein ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist.

Allerdings schränkte der BGH die Rechte der Anleger an anderer Stelle demgegenüber deutlich ein: In seinen Urteilen vom 28.11.2005 (ComROAD) und vom 4.6.2007 (ComROAD IV und V) lehnt der BGH die Ausführungen des OLG München zum Anscheinsbeweis ab, weil sich angesichts der Vielzahl der Faktoren, die die Anlageentscheidung beeinflussen, kein allgemeiner Grundsatz aufstellen lasse, die Kaufentscheidung sei durch die Irreführung verursacht worden. Um die AG und/oder die einzelnen Vorstandsmitglieder auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, muss der Anleger danach im jeweiligen Einzelfall darlegen und beweisen, dass er sich aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung zum Kauf entschloss. Ob dem Anleger dieser Beweis gelingt, wird in der Praxis z.B. davon abhängen, ob eine gewisse zeitlich Nähe zwischen dem Aktienkauf und der Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung besteht. Im Hinblick auf die oben besprochene Entscheidung des OLG München (18 U 3910/03) entschied der BGH, dass dem Kläger dieser Beweis nicht gelungen ist (BGH, Beschluss v. 28.11.2005, II ZR 80/04).

 

Link zur Entscheidung

OLG München, Urteil vom 16.03.2004, 18 U 3910/03

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