BGH: Restschadensersatzanspruch verjährt erst nach 10 Jahren

VW-Diesel-Käufer haben 10 Jahre Zeit zur Geltendmachung von Restschadenersatzansprüchen. Der BGH hat die wesentlichen noch offenen Fragen zur Einrede der Verjährung durch VW beantwortet.

In beiden vom BGH aktuell entschiedenen Verfahren haben die Kläger die Volkswagen AG auf Schadenersatz nach Erwerb eines VW-Diesel-Fahrzeugs in den Jahren 2013 bzw. 2012 in Anspruch genommen. In beiden Verfahren hatte VW gegen die geltend gemachten Ansprüche die Einrede der Verjährung erhoben.

VW-Dieselfahrzeuge mit Software zur Abgasmanipulation

In beiden Verfahren ging es um VW-Dieselfahrzeuge, in deren Motor eine Software installiert war, die die Situation auf dem Rollenprüfstand erkennt und dort die CO2-Emissionen deutlich verringert, um auf diese Weise die Umweltvorgaben der EU einzuhalten. Nachdem im September 2015 die Medien ausführlich über diesen sogenannten „Abgasskandal“ berichtet hatten, ließen beide Kläger ein von VW entwickeltes und vom Kraftfahrtbundesamt genehmigtes Software-Update aufspielen, mit dem die gesetzlichen Vorgaben zum Schadstoffausstoß dann eingehalten wurden.

Klageerhebung erst im Jahr 2020

Beide Kläger hatten erst im Jahr 2020 Klage gegen VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung erhoben und forderten von VW die Rückzahlung des Kaufpreises bzw. Erstattung der Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung für den Gebrauch des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Im ersten Fall hatte der Kläger das Fahrzeug unmittelbar von VW erworben, im zweiten Fall von einem Händler.

Primäre Schadensersatzansprüche verjährt

In beiden Fällen hielt der BGH die Ansprüche der Kläger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB für verjährt. Zur Begründung stellte der BGH klar:

  • Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Käufer von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis erhalten hat.
  • Dies ist infolge der medialen Berichterstattung regelmäßig das Jahr 2015, so dass entsprechende Ansprüche aus § 826 BGB Ende des Jahres 2018 verjähren.
  • Hat ein Käufer im Einzelfall im Jahr 2015 nachweislich keine Kenntnis von dem Dieselskandal erworben, so kann der Lauf der Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2016 beginnen, so dass die Verjährung ausnahmsweise erst mit Ende des Jahres 2019 eintritt.
  • Hat ein Käufer auch im Jahre 2016 noch keine Kenntnis erlangt, so beruht dies in der Regel auf grober Fahrlässigkeit, so dass dennoch die Verjährung spätestens Ende 2019 eintritt.

Restschadensersatzanspruch verjährt erst nach 10 Jahren

Nach der Entscheidung des BGH steht beiden Klägern trotz der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB ein sogenannter Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB zu. Nach dieser Vorschrift ist der Ersatzpflichtige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe des Erlangten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt gemäß § 852 Satz 2 BGB erst nach 10 Jahren.

Unrechtmäßige Vermögensverschiebungen sollen rückgängig gemacht werden

Die Tatsache, dass die Kläger beider Verfahren die Möglichkeit hatten, vor Ablauf der Verjährung des Anspruchs nach § 826 BGB die Beklagte auf Schadenersatz in Anzug Anspruch zu nehmen, ändert nach Auffassung des BGH an dem Restschadenersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB nichts. Dies gelte auch im Hinblick darauf, dass die Kläger sich nicht an dem Musterfeststellungsverfahren gegen VW beteiligt hatten. § 852 Satz 1 BGB verfolge den Zweck, dass derjenige, der einen anderen durch eine unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, diese Vorteile auch bei Verjährung des primären Schadensersatzanspruches nicht behalten darf. Die auf unrechtmäßige Weise eingetretene Vermögensverschiebung solle auch nach Verjährung des primären Schadensersatzanspruches rückgängig gemacht werden können.

VW hat Kaufpreis auf unrechtmäßige Weise erlangt

Vor diesem Hintergrund hat VW nach der Bewertung des BGH von dem Kläger, der das Fahrzeug unmittelbar bei VW erstanden hat, den Kaufpreis erlangt. VW sei daher gemäß § 852 Satz 1 BGB zur Rückzahlung verpflichtet. In dem Verfahren, in dem der Kläger das Fahrzeug von einem Händler erlangt hatte, hat VW nach der Bewertung des BGH eine Forderung gegen den Händler erlangt. Die Bereicherung von VW bestehe in der Forderung des Herstellers gegen den Händler auf Zahlung des Händlereinkaufspreises.

Kein Abzug der Herstellungs- und Bereitstellungskosten

Von dem in dieser Weise entstandenen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch der Kläger sind entgegen der Auffassung der Beklagten nach dem Urteil des BGH die Herstellungs- und Bereitstellungskosten gemäß § 818 Abs. 3 BGB nicht in Abzug zu bringen, denn VW habe gemäß §§ 818 Abs. 4, 819 BGB bösgläubig gehandelt.

Korrektur des Herausgabeanspruchs durch Nutzungsentschädigung

Bei wortgetreuer Anwendung dieser bereicherungsrechtlichen Grundsätze würden die Kläger allerdings mehr erhalten als auf Grundlage des primären Schadensersatzanspruches gemäß § 826 BGB, denn dort wird eine Vorteilsausgleichung durch den Abzug einer Entschädigung für die vom Käufer gezogenen Nutzungen vorgenommen. Nach Auffassung des BGH darf der Anspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB aber nicht weitergehen als der ursprüngliche Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Daher sei der Anspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB dahingehend zu modifizieren, dass auch hier der Grundsatz der Vorteilsausgleichung zur Anwendung kommt und die Kläger sich eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen müssen.

Vorinstanzen müssen erneut entscheiden

Die Vorinstanzen hatten in beiden Fällen die Klagen abgewiesen und deshalb zur Höhe der Nutzungsentschädigung keine Feststellungen getroffen. Aus diesem Grunde hat der BGH beide Rechtsstreite zur Klärung der Höhe der gezogenen Nutzungen und zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanzen zurückverwiesen.


(BGH Urteile v. 21.2.2022, VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21)


Hintergrund

Mit den jetzigen Entscheidungen des BGH sind die wesentlichen noch offenen Verjährungsfragen sowie das Problem des sogenannten Restschadensersatzanspruchs gemäß § 852 sich BGB im Zusammenhang mit den Dieselklagen gegen VW geklärt.

Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren bewirkt Verjährungshemmung

Erst kürzlich hatte der BGH entschieden, dass die Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit der Dieselaffäre gegen VW durch eine Teilnahme an dem beim OLG Braunschweig durchgeführten Musterfeststellungsverfahren auch dann wirksam gehemmt wird, wenn der Käufer sich von dem Musterfeststellungsverfahren wieder abgemeldet hat und erst nach dieser Abmeldung eine Schadensersatzklage gegen VW eingereicht.

Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren hemmt die Verjährung rückwirkend

Die Hemmungswirkung eines nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB wirksam in einem Musterfeststellungsverfahren angemeldeten Anspruchs tritt nach der Entscheidung des BGH nicht erst mit dem Zeitpunkt der wirksamen Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in das Register ein, sondern wirkt auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück (BGH, Urteil v. 29.7.2021, VI ZR 1118/20). Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB findet auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt. Der Gesetzgeber habe insoweit bewusst gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB eine nachlaufende sechsmonatige Verjährungshemmung bestimmt (BGH, Urteil v. 27.1.2022, VII ZR 303/20).

Kein Restschadenersatzanspruch bei Gebrauchtwagenkauf

Zur Frage des Restschadensersatzanspruchs hatte der BGH kürzlich entschieden, dass Käufern von gebrauchten VW-Diesel-Fahrzeugen kein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB zusteht, da der Fahrzeughersteller durch den Kauf eines Gebrauchtwagens nicht ungerechtfertigt bereichert werde. Die Vermögensverschiebung zugunsten des Herstellers trete bereits vollständig beim Neuwagenkauf ein (BGH, Urteile v. 10.2.2022, VII ZR 365/21, VII 396/21 u.a.).


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