Das Wichtigste in Kürze:

1. Für den Angeklagten kann die Vernehmung eines oder mehrerer SV von größerer Bedeutung sein als eine Zeugenvernehmung.
2. Der SV ist nur Gehilfe des Gerichts, dessen nicht ausreichende Sachkunde er ergänzen oder ersetzen soll.
3. Eine ordnungsgemäße Vernehmung des SV setzt voraus, dass der Verteidiger sich selbst ausreichend sachkundig gemacht hat, um ein Fachgespräch führen zu können.
4. Nach § 247a Abs. 2 ist die Videovernehmung eines SV in der HV zulässig.
4. Der Verteidiger muss darauf achten, dass der SV nicht dadurch Zeuge wird, dass er sog. Zusatztatsachen in die HV einführt. Das ist nur zulässig, wenn er auch als Zeuge vernommen wird. Wird der SV als Zeuge vernommen, darf er nicht versteckt ein Gutachten erstatten.
 

Rdn 3723

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2882

 

Rdn 3724

1. Für den Angeklagten kann die Vernehmung eines oder mehrerer SV von größerer Bedeutung sein als eine Zeugenvernehmung. Denn häufig verfügt das Gericht nicht über die notwendige, insbesondere medizinische, Sachkunde, um bestimmte (Fach-)Fragen zu entscheiden. Dazu werden dann SV gehört, deren Sachkunde häufig faktisch das Strafverfahren entscheiden. Deshalb muss der Verteidiger auf eine ordnungsgemäße Vernehmung des SV durch das Gericht und auch durch ihn selbst achten, was eine schwierige, jedoch besonders wichtige Aufgabe der Verteidigung ist. Dem Angeklagten steht i.Ü. auch hinsichtlich der SV das sog. Recht auf konfrontative Befragung zu (OLG Düsseldorf zfs 2008, 704; s. i.Ü. die Nachw. bei → Fragerecht des Angeklagten, Teil F Rdn 1877).

 

☆ Für die kommissarische und die erneute Vernehmung eines SV gelten die Ausführungen bei →  Zeuge , kommissarische Vernehmung , Teil Z Rdn  4096 , und bei →  Zeuge , Vernehmung, erneute Vernehmung , Teil Z Rdn  4164 , entsprechend.kommissarische und die "erneute Vernehmung" eines SV gelten die Ausführungen bei → Zeuge, kommissarische Vernehmung, Teil Z Rdn 4096, und bei → Zeuge, Vernehmung, erneute Vernehmung, Teil Z Rdn 4164, entsprechend.

 

Rdn 3725

2.a) Bei der Vernehmung eines SV muss sich der Verteidiger zunächst der eigentlichen Aufgabe des SV bewusst sein. Dieser ist nur Gehilfe des Gerichts (→ Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2882). Er ersetzt oder ergänzt die fehlende bzw. nicht ausreichende Sachkunde des Gerichts. Diese Gehilfenstellung verbietet es dem SV, sich richterliche Aufgaben anzumaßen. Er darf also nicht in die richterliche Wertung und Beweiswürdigung eingreifen (BGHSt 2, 14), sondern hat vielmehr nur kraft seines Fachwissens die tatsächliche Grundlage – den Befund – festzustellen, der zur Beantwortung der Beweisfrage notwendig ist (BGHSt 9, 292).

 

Rdn 3726

b) Der SV kann nach § 76 aus denselben Gründen, die einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, die Erstattung des Gutachtens verweigern (→ Zeuge, Zeugnisverweigerungsrecht, Teil Z Rdn 4242). Das gilt nicht für den gerichtlich bestellten SV (wegen der Einzelh. die Komm. bei Meyer-Goßner/Schmitt zu §§ 75 ff.).

 

Rdn 3727

3. Die ordnungsgemäße Vernehmung des SV in der HV durch den Verteidiger setzt voraus, dass der Verteidiger sich selbst spätestens bei der → Vorbereitung der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3944, ausreichend sachkundig gemacht hat. Anderenfalls wird er ein kompetentes, sachbezogenes Gespräch mit dem SV kaum führen können. Für die Gesprächsführung muss der Verteidiger im Auge behalten, dass der SV seine Sachkunde nicht zelebrieren, sondern dem Gericht vermitteln soll (s.a. den Fragenkatalog bei → Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2882). Das Gericht muss selbst die sachkundigen Darlegungen des SV nachvollziehen und bewerten können. Da das Gericht das, was es nicht verstanden hat, auch nicht bewerten kann, muss es, wenn der SV den Angeklagten "belastet", Verteidigungsziel sein, Zweifel in dem Verständigungsprozess zu wecken (Sommer, Rn 897 ff. [dort auch zur weiteren Gesprächstaktik]). Das wird aber nur einem selbst gut vorbereiteten Verteidiger gelingen (zur Technik bei der Befragung von SV Sommer, S. 453 ff.; MAH-Tsambikakis, § 82).

 

Rdn 3728

Besonders kritisch sollte der Verteidiger die Gutachten der ständig für Polizei, StA und Gericht tätigen SV, der sog. Gerichtsärzte prüfen, da sie sich häufig die Beurteilung vieler Fachfragen zutrauen, ohne auf allen Gebieten gleichmäßig erfahren zu sein. Deshalb werden insbesondere hier Fragen zur Sachkunde des SV angebracht sein. Das gilt auch, wenn der Gutachter selbst in der HV nicht anwesend ist, sondern sich z.B. durch einen Assistenten vertreten lässt. Hat dieser nicht die erforderliche Sachkunde oder bestehen Zweifel, muss der Verteidiger auf der Anwesenheit des bestellten SV bestehen und einen entsprechenden Antrag stellen.

 

Rdn 3729

4.a) Nach § 247a Abs. 2 ist nach der Erweiterung der Vorschrift durch das "Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren" die ­Videovernehmung eines SV in der HV zulässig (dazu BR-Drucks 902/...

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