Das Wichtigste in Kürze:

1. Hat der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit selbst vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt, kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 231a ohne ihn verhandeln.
2. Die Verhandlungsunfähigkeit kann der Angeklagte nach wohl h.M. nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen herbeigeführt haben. Die Herbeiführung muss aber schuldhaft erfolgt sein.
3. § 231a ist nicht anwendbar, wenn die Anwesenheit des Angeklagten in der HV unerlässlich ist.
4. Nach § 231a Abs. 1 S. 2 darf nur dann in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden, wenn dieser nach Eröffnung des Hauptverfahrens Gelegenheit gehabt hat, sich vor dem Gericht oder einem beauftragten Richter zur Anklage zu äußern.
5. Erlangt der Angeklagte während der HV seine Verhandlungsfähigkeit zurück, muss er wieder zur HV zugezogen werden.
6. Über die Frage der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten entscheidet das Gericht gem. § 231a Abs. 3 S. 1 durch Beschluss, gegen den Beschwerde eingelegt werden kann.
 

Rdn 3397

 

Literaturhinweise:

Buschmann/Peters, Der kranke Angeklagte in der Hauptverhandlung, ArchKrim 2011, 160

Gollwitzer, Die Verfahrensstellung des in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Angeklagten, in: Festschrift für Herbert Tröndle, 1989, S. 455

Neuhaus, Der Grundsatz der ständigen Anwesenheit des Angeklagten in der strafprozessualen Hauptverhandlung 1. Instanz unter besonderer Berücksichtigung des § 231a StPO, 2000

Rieß, Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Angeklagten, JZ 1975, 265

s.a. die Hinw. bei → Verhandlungsfähigkeit, Allgemeines, Teil V Rdn 3384.

 

Rdn 3398

1. Hat der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit (→ Verhandlungsfähigkeit, Allgemeines, Teil V Rdn 3384) selbst vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt, kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 231a ohne ihn verhandeln.

 

☆ Das gilt aber nur , wenn der Angeklagte noch nicht zur Anklage vernommen ist. Führt er seine Verhandlungsunfähigkeit erst nach der →  Vernehmung des Angeklagten zur Sache , Teil V Rdn  3650 , herbei, kommt eine Verhandlung ohne ihn nur noch nach § 231 Abs. 2 in Betracht (BGH NJW 1981, 1052; Meyer-Goßner/Schmitt , § 231a Rn 1 m.w.N.; →  Verhandlung ohne den Angeklagten , Teil V Rdn  3358 ; →  Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung , Teil A Rdn  449 ).nur, wenn der Angeklagte noch nicht zur Anklage vernommen ist. Führt er seine Verhandlungsunfähigkeit erst nach der → Vernehmung des Angeklagten zur Sache, Teil V Rdn 3650, herbei, kommt eine Verhandlung ohne ihn nur noch nach § 231 Abs. 2 in Betracht (BGH NJW 1981, 1052; Meyer-Goßner/Schmitt, § 231a Rn 1 m.w.N.; → Verhandlung ohne den Angeklagten, Teil V Rdn 3358; → Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, Teil A Rdn 449).

 

Rdn 3399

2.a)aa) Die Verhandlungsunfähigkeit kann der Angeklagte nach wohl h.M. nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen herbeigeführt haben, indem er z.B. Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten nicht in Anspruch genommen hat (OLG Düsseldorf StraFo 2000, 384; OLG Hamm NJW 1977, 1739 [unterlassene therapeutische Maßnahmen bei Bechterew’scher Krankheit]; OLG Nürnberg NJW 2000, 1804; LG Lüneburg NStZ-RR 2010, 211; a.A. unter Hinw. auf das BVerfG [NJW 1994, 1590] LG Nürnberg-Fürth NJW 1999, 1125 [für unterlassene Behandlung mit blutdrucksenkenden Mitteln]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 231a Rn 7). In Betracht kommen weiter Hungerstreik, jede Art von Selbstschädigung (BVerfG NJW 1979, 2349), wie z.B. ein ernsthafter Selbstmordversuch (Meyer-Goßner/Schmitt, § 231a Rn 7; a.A. KK-Gmel, § 231a Rn 9 m.w.N.) oder der Genuss von Rauschgift und Medikamentenmissbrauch.

 

Rdn 3400

bb) Die Verhandlungsunfähigkeit muss der Angeklagte mit zumindest bedingtem Vorsatz schuldhaft herbeigeführt haben (BGHSt 26, 228, 239). Er handelt dann nicht schuldhaft, wenn ihm sein Verhalten aus einem der in § 20 StGB genannten Gründe nicht angelastet werden kann (dazu auch BGHSt 56, 298 [auch keine Eigenmacht i.S. des § 231 Abs. 2]; zur Frage, ob das Herbeiführen der Verhandlungsunfähigkeit ein "Sich-Entziehen" i.S.v. § 112 Abs. 2 Nr. 2 darstellt, OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2015 – 5 Ws 114 u. 115/15 für Invollzugsetzung eines HB wegen selbst herbei geführter Verhandlungsunfähigkeit durch Entzug von Flüssigkeit bzw. Nahrung und/oder die Nichteinnahme von Medikamenten; OLG Oldenburg NStZ 1990, 431 m. abl. Anm. Wendisch StV 1990, 166 und Oswald StV 1990, 500). Das BVerfG stellt dabei darauf ab, ob dem Angeklagten die ärztliche Behandlung zugemutet werden kann (BVerfG NJW 1994, 1590; s.a. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Ist das nicht der Fall, kann ihm die Verhandlungsunfähigkeit nicht "vorgeworfen" werden (OLG Düsseldorf StraFo 2000, 384; dazu a. Müller NStZ 2001, 53 in der Anm. zu OLG Nürnberg NJW 2000, 1804; zu allem a. SSW-StPO/Grube, § 231a Rn 5). Nach Auffassung des KG hat der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit auch dann schuldhaft selbst herbeigeführt, wenn er einen Operationstermin so legt, dass er zur kurz darauf stattfindenden (Beruf...

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