Rz. 134

Als empfangsbedürftige Willenserklärung muss die Kündigungserklärung abgegeben werden und gem. § 130 Abs. 1 BGB dem anderen zugehen, um wirksam zu werden. Der Zugang ist von demjenigen zu beweisen, der die Kündigung ausgesprochen hat.

Streitig ist, ob beim Einwurf-Einschreiben der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass die Sendung zugegangen ist (Übersicht über die Rechtsprechung bei Karcher/Mengestu, DB 2021 S. 561 ff.; ablehnend z. B. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17.9.2019, 8 Sa 57/19; ArbG Düsseldorf, Urteil v. 22.2.2019, 14 Ca 465/19). Das wird zunehmend bejaht, wenn der Kündigende den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs vorlegen kann, die er auf Wunsch – neben der telefonischen Auskunft – erhält (z. B. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.1.2022, 1 Sa 159/21; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 28.7.2021, 4 Sa 68/20; LAG Rostock, Urteil v. 12.3.2019, 2 Sa 139/18). Unter diesen Voraussetzungen hat der BGH das Einwurf-Einschreiben als "eingeschriebenen Brief" im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 2 GmbHG akzeptiert (BGH, Urteil v. 27.9.2016, II ZR 299/15).

 

Rz. 135

Der Zeitpunkt des Zugangs ist insbesondere wichtig für

  • die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung, denn es kommt stets auf die tatsächlichen Umstände bei Zugang der Kündigung an (Ausnahme: Bei der Anfechtung und bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit kommt es dagegen auf die Umstände bei Abgabe der Erklärung an, vgl. § 130 Abs. 2 BGB),
  • die Berechnung der Kündigungsfrist bei der ordentlichen Kündigung gem. § 622 BGB,
  • die Berechnung der Erklärungsfrist bei der außerordentlichen Kündigung gem.

    § 626 Abs. 2 BGB und

  • die Berechnung der Klagefrist gem. §§ 4, 7 KSchG.
 

Rz. 136

Die Kündigungserklärung ist dem Empfänger zugegangen, sobald sie so in seinen Machtbereich gelangt ist, dass er in verkehrsüblicher Weise die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Kündigungsschreiben erlangt und unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Es ist nicht erforderlich, dass der Empfänger tatsächlich den Inhalt zur Kenntnis nimmt.[1]

 

Rz. 137

Vereinbarungen über Zeitpunkt und Form des Zugangs sind möglich, da § 130 BGB abdingbar ist. Bei Formulararbeitsverträgen ist jedoch das AGB-Recht zu beachten. Nach § 308 Nr. 6 BGB ist eine Zugangsfiktion unwirksam (z. B. Kündigung gilt 3 Tage nach Absendung als zugegangen), auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Zugangsfiktion widerlegen kann, denn diese Umkehr der Beweislast ist gem. § 309 Nr. 12a BGB unwirksam. Besondere Zugangserfordernisse (z. B. Kündigung nur per eingeschriebenem Brief) sind gem. § 309 Nr. 13c BGB unwirksam.[2]

[1] HaKo-KSchG/Mayer, 7. Aufl. 2021, § 1 KSchG, Rz. 103.
[2] Grüneberg/Ellenberger, 82. Aufl. 2023, § 130, Rz. 19; Grüneberg/Grüneberg, § 309, Rz. 113; Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 18. Aufl. 2019, § 123, Rz. 41 und 55 mit Verweis auf BAG, Urteil v. 14.3.2001, 4 AZR 161/00, zur Rechtslage vor Geltung von § 309 Nr. 13c BGB; Einzelheiten zum Zugang einer Kündigung s. Wiehe, § 4, Rz. 147 ff.

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