Entscheidungsstichwort (Thema)

Erteilung eines Erbscheins. Erbschein

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Erteilung eines Erbscheins zu Gunsten der Stadt Erfurt, als Nachfolgerin des vorherigen staatlichen Organs „Rat der Stadt Erfurt”.

 

Normenkette

ZGB DDR § 372; BGB § 2084

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Beschluss vom 16.06.1994; Aktenzeichen 2 T 201/93)

AG Erfurt (Beschluss vom 11.10.1993; Aktenzeichen VI 423/92)

 

Tenor

Der Beschluß des Landgerichts Erfurt vom 16. Juni 1994 und der Beschluß des Amtsgerichts Erfurt vom 11. Oktober 1993 werden aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Entscheidung an das Landgericht Erfurt zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Am 12. Februar 1985 verstarb in Erfurt, ihrem letzten Wohnsitz, die Erblasserin B. O. S.. Ihr Ehemann A. S. war bereits am … vorverstorben. Die Erblasserin hinterließ folgende, vor dem Notar Dr. H. G. in Erfurt am 22. Januar 1971 errichtete letztwillige Verfügung:

Zur Erbin setze ich die Stadt Erfurt ein. Mein Vermögen besteht im wesentlichen aus Hausgrundstücken. Meinem Sohn H. A. S. vermache ich meine Sparguthaben sowie meinen sonstigen beweglichen Nachlaß. Den Wert meines derzeitigen Vermögens gebe ich auf 45.000,– M an.

Auf Anordnung des Rates der Stadt Erfurt vom 10. Mai 1982 wurden folgende, zuvor im Eigentum der Erblasserin stehende Grundstücke mit Wirkung zum 01. Juni 1982 in Eigentum des Volkes, Rechtsträgerschaft VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Erfurt überführt, nachdem die Erblasserin mit Erklärung vom 28. April 1982 auf ihr Eigentumsrecht zugunsten des Volkseigentums verzichtet hatte:

Erfurt, …

Erfurt, …

Erfurt, …

Erfurt, …

Erfurt, …

Erfurt, …

Erfurt, …

Auch für die ursprünglich im Eigentum des Ehemannes der Erblasserin stehenden Grundstücke … und … ist Volkseigentum bei Rechtsträgerschaft des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Erfurt eingetragen. Das Protokoll der Verzichtserklärung der Erblasserin vom 28. April 1982 sowie ein Nachweis des Grundes der Überführung der in der Michaelisstraße belegenen Grundstücke in Volkseigentum befinden sich indessen nicht bei den Akten.

Am 19. Mai 1986 verstarb der Sohn der Erblasserin, H. A. S. Er wurde von der Beteiligten zu 3) zu ½, der Beteiligten zu 4) und dem Beteiligten zu 2) zu je 1/4 beerbt.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben beim Nachlaßgericht jeweils Anträge auf Erteilung eines Erbscheins gestellt. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 11. Oktober 1993 den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen, da die Hausgrundstücke der Erblasserin bereits zu Lebzeiten in Volkseigentum überführt worden seien, ihr Nachlaß daher nur noch aus ihrer beweglichen Habe bestanden habe, welche nach der letztwilligen Verfügung aber ihrem Sohn zukommen sollte.

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das Landgericht in dem nunmehr angefochtenen Beschluß das Amtsgericht angewiesen, einen Erbschein zugunsten der Stadt Erfurt als alleinigem Erben zu erteilen. Das Landgericht ist der Auffassung, daß die Stadt Erfurt in ihrer durch die Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 wiedererlangten Rechtspersönlichkeit die Nachfolge des vorherigen staatlichen Organs „Rat der Stadt Erfurt” angetreten habe und daher nach dem Wortlaut des Testaments Erbe geworden sei. Daß die Erblasserin durch Überleitung der Grundstücke in Volkseigentum bereits zu Lebzeiten einen Teil ihrer letztwilligen Verfügung vorweggenommen habe, berühre die Wirksamkeit des Testaments nicht.

Hiergegen wendet sich die weitere Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weitere Beschwerde ist an sich statthaft und in zulässiger Weise erhoben, §§ 27, 29 FGG.

In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem Teilerfolg, indem die angefochtenen Beschlüsse aufgehoben und die Sache an das Landgericht Erfurt zurückverwiesen wird.

1. Die weitere Beschwerde ist bereits deshalb begründet, weil die Entscheidungen der Instanzgerichte gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs, Artikel 103 Abs. 1 GG, verstoßen. Die Beteiligten zu 3) und 4) als Erben nach dem Sohn der Erblasserin sind materiell Beteiligte in dem Verfahren, in dem die Beteiligte zu 1) einen Erbschein begehrt, wonach sie aufgrund gewillkürter Erbfolge die Erblasserin beerbt habe. Träfe das zu, wären die gesetzlichen Erben verdrängt. Diese werden mithin in ihrer Rechtsstellung vom Verfahrensergebnis unmittelbar berührt. Sie sind daher materiell beteiligt (Bumiller/Winkler, Kommentar zum FGG, 5. Aufl., § 13 Rdnr. 1). Als materiell Beteiligte mußten die Vorinstanzen den Beteiligten zu 3) und 4) Gelegenheit zur Stellungnahme im vorliegenden Erbscheinsverfahren geben.

2. Das Landgericht hat aber auch gegen das materielle Erbrecht und gegen § 12 FGG verstoßen. § 12 FGG verpflichtet das Gericht, von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu treffen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Das Rechtsbeschwerdegericht geht zwar grundsätzlich von dem durch die Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus und prüft lediglich, ob die hieraus abgeleiteten rechtlichen Folgerungen zutreffen. Das Rech...

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