Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnzahlungsanspruch des Arbeitnehmers und Kündigungsrecht des Arbeitgebers bei Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an der Arbeitsleistung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Der Arbeitnehmer kann in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 Abs. 1 BGB die Arbeitsleistung verweigern, wenn der Arbeitgeber einen fälligen Lohnanspruch nicht erfüllt. Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung darf gem. § 242 unter Beachtung von Treu und Glauben nur ausgeübt werden, wenn es nicht lediglich um verhältnismäßig geringfügige Lohnrückstände geht oder wenn nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Arbeitnehmer für seinen Lebensunterhalt auf das regelmäßige Eingehen der arbeitsvertraglichen Vergütung angewiesen ist.

2) Macht der Arbeitnehmer von seinem Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zu Recht Gebrauch, dann liegt darin weder ein Grund für eine außerordentliche noch für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber.

3) Für die Zeit der berechtigten Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes an der Arbeitsleistung ist der Arbeitgeber nach § 324 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer den Lohn zu zahlen, den dieser verdient hätte, wenn er gearbeitet hätte. § 324 kommt unabhängig davon zur Anwendung ob das Arbeitsverhältnis während der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes gekündigt oder ungekündigt ist oder ob der Kläger während der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes arbeitsunfähig erkrankt ist.

4) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Grundlage der Würdigung ist der gesamte Inhalt der Verhandlung, Art, Zusammenhang und Zeitpunkt des Vorbringens, Handlungen, Unterlassungen, ggf. eine Verletzung der Wahrheitspflicht, eine ggf. vorliegende Beweisvereitelung, der persönliche Eindruck von den Prozessbeteiligten und ihren Vertretern einschließlich einer Beweisaufnahme, all dies ggf. auch unter Einbeziehung von Erfahrungssätzen wie der Vekehrssitte oder einschlägigen Handelsgebräuchen. Eine Beweislastentscheidung scheidet aus, wenn aus Rechtsgründen eine Beweisaufnahme nicht stattfindet, das Gericht aber auf Grund der anderen o. g. Umstände von der Wahrheit der Tatsachenbehauptung einer Partei überzeugt ist.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2, § 273 Abs. 1, § 324 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1, § 138

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Aktenzeichen 8 Ca 5802/96)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 18.12.1996 aufgelöst wurde, sondern bis zum 31.01.1997 fortbestand.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Gehalt für November 1996 in Höhe von 6.541,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 24.03.1997 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Gehalt für Dezember 1996 in Höhe von 4.300,17 DM brutto abzüglich erhaltenen Krankengeldes in Höhe von 1.179,54 DM für die Zeit vom 19. – 27.12.1996 nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 24.03.1997 zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Gehalt für Januar 1997 in Höhe von 4.501,13 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 24.03.1997 zu zahlen.

5. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

6. Die Widerklage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 12 %, die Beklagte 88 %.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, über Arbeitsvergütungsansprüche des Klägers und über Schadensersatzansprüche bzw. Bereicherungsansprüche der Beklagten.

Die Beklagte betreibt einen Baustoffhandel. Der Kläger war bei ihr seit dem 01.01.1993 beschäftigt. Zuletzt war er Filialleiter. Das feststehende Gehalt des Klägers setzte sich, soweit nicht von der Beklagten in Abrede gestellt, folgendermaßen zusammen:

  • 2.400,00 DM Grundgehalt
  • 1.512,00 DM Betriebsleiterprämie
  • 345,13 DM Kfz-Nutzungspauschale
  • 52,00 DM vermögenswirksame Leistungen

Darüber hinaus erhielt der Kläger eine Provision nach Abrechnung, die dem Grundgehalt zugerechnet wurde, soweit sie die Betriebsleiterpramie überstieg. Ein Berechnungsschlüssel für das Entstehen und die Höhe der Provision des Klägers wurde von den Parteien nicht angegeben.

Von Mai 1994 bis Oktober 1996 beschäftigte der Kläger den Mitarbeiter S. der Beklagten 180 Stunden auf seiner privaten Baustelle. In den für die Buchhaltung der Beklagten für den Mitarbeiter S. nach Datum, Stunden, Art der Beschäftigung erstellten Arbeitsnachweisen (Bl. 74 ff d. A.) waren die Tätigkeiten auf der Privatbaustelle des Klägers von diesem mit dem Vermerk „Baustelle II” gekennzeichnet worden. Die Geschäftsführer der Beklagte...

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