Das Wichtigste in Kürze:

1. Im entschädigungsrechtlichen Sinn handelt es sich um eine Verurteilung, wenn ein schuldfeststellendes Straferkenntnis (Urteil, Strafbefehl, Gesamtstrafenbeschluss ergangen ist.
2. Die Verurteilung oder Anordnung muss ursprünglich in Rechtskraft erwachsen sein.
3. Die Korrektur der ursprünglich rechtskräftigen Entscheidung muss auf verfahrensrechtlichem Weg erfolgt sein.
4. Die Verurteilung ist entfallen, wenn Schuld- und Rechtsfolgenausspruch endgültig beseitigt sind. Eine Milderung tritt ein, wenn der Rechtsfolgenausspruch zugunsten des Abgeurteilten geändert wurde.
 

Rdn 613

 

Literaturhinweise:

S. die Hinw. bei → StrEG-Entschädigung, Allgemeines, Teil I Rdn 281.

 

Rdn 614

1.a) Im entschädigungsrechtlichen Sinn handelt es sich um eine Verurteilung, wenn ein schuldfeststellendes Straferkenntnis (Urteil, Strafbefehl, Gesamtstrafenbeschluss (h.M; Kunz, StrEG, § 1 Rn 8]) ergangen ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob tatsächlich eine Sanktion verhängt wurde. Deshalb zählen hierzu auch die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), das Absehen von Strafe (§ 60 StGB), die Straffreierklärung (§§ 199, 233 StGB) und die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung (§ 27 JGG). Wer aufgrund eines zunächst als rechtskräftig behandelten Widerrufsbeschlusses eine zuvor zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe verbüßt, steht demjenigen gleich, der aufgrund einer Verurteilung zu vollstreckbarer Freiheitsstrafe diese wegen der Verurteilung verbüßt (OLG Köln, Beschl. v. 23.8.2002 – III-2 Ws 372/02).

 

Rdn 615

b) Maßregelanordnungen stehen der Verurteilungen gleich. Insoweit kommen als Maßregeln der Besserung und Sicherung ohne gleichzeitigen Schuldspruch nach § 71 StGB in Betracht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt (§ 64 StGB), Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) oder Verhängung eines Berufsverbots (§ 70 StGB). Steht die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren fest oder kann sie zumindest nicht ausgeschlossen werden, hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, die Maßregeln im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO, § 71 StGB) anordnen zu lassen.

 

Rdn 616

c) Ohne gleichzeitige Schuldfeststellung können als Nebenfolgen über den Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechtes i.S.d. § 45 StGB hinaus alle nach dem StGB und dem OWiG möglichen Rechtsfolgen, insbesondere Verfall (§§ 73 ff. StGB), Einziehung (§§ 74 ff. StGB) und Unbrauchbarmachung (§ 74d StGB) und deren Anordnung auch im objektiven Verfahren nach den §§ 440442 StPO angeordnet werden.

 

Rdn 617

2. Die Verurteilung oder Anordnung muss ursprünglich in Rechtskraft erwachsen sein. Dabei ist es für die Entstehung des Entschädigungsanspruchs im Fall der Verurteilung ausreichend, wenn diese wegen einer von mehreren Taten i.S. des § 264 StPO rechtskräftig wurde (Meyer, StrEG, § 1 Rn 24). Wird eine in einem noch nicht rechtskräftigen Strafurteil verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt, scheiden Ansprüche nach StrEG aus; der Betroffene muss diese nach Art 5 Abs. 5 EMRK oder nach § 839 BGB, Art. 34 GG geltend machen (OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2005 – 3 Ws 449/05). Die gilt auch für die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aus einem nicht rechtkräftigen Strafbefehl (AG Zittau, Beschl. v. 19.6.2002 – 1 Cs 926 Js 15964/94).

 

Rdn 618

3. Die Korrektur der ursprünglich rechtskräftigen Entscheidung muss auf verfahrensrechtlichem Weg erfolgt sein.

 

Rdn 619

a) Ausdrücklich aufgeführt ist in § 1 Abs. 1 StrEG das Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO, 79 BVerfGG). Dabei kann die rechtskräftige Verurteilung nicht nur im Verfahren zugunsten des Verurteilten nach § 359 StPO, sondern auch im Wiederaufnahmeverfahren zu dessen Ungunsten nach § 362 StPO fortfallen oder gemildert werden, was nach § 373a Abs. 2 StPO auch für eine rechtskräftige Verurteilung durch Strafbefehl gilt (zum Wideraufnahmeverfahren Burhoff/Kotz/Kotz, RM, Teil B, Rn 1285 ff.).

 

Rdn 620

b) Andere Verfahren können zur Beseitigung der Rechtskraft führen, sofern sie mit Hilfe von Verfahrensrecht deren Durchbrechung ermöglichen. In Betracht kommen:

Das Revisionsgericht erstreckt sein aufhebendes Erkenntnis auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten (§ 357 StPO) oder
Dem Abgeurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO) gewährt [str.; wie hier: BayObLG MDR 1986, 609; KK-OWiG/Schmehl, § 110 Rn 5; Kunz, StrEG, § 1 Rn 21; Meyer-Goßner/Schmitt, § 1 StrEG Rn 2; a.A. Meyer, StrEG, § 1 Rn 11; ders., JurBüro 1987, 1603]).
Das BVerfG hebt die strafgerichtliche Letztentscheidung auf (§ 95 Abs. 3 BVerfGG).
 

Rdn 621

Im Unterschied zum Wiederaufnahmeverfahren führen diese Entscheidungen i.d.R. nicht unmittelbar zu einem Entschädigungsanspruch, da sich ein solcher erst aus dem weiteren (fach-)gerichtlichen Erkenntnis ergibt, wenn dieses zum Fortfall oder zur Milderung ursprünglich verhängter Sanktionen führt, da auch in derartigen Fällen die Entschädigungspf...

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