Das Wichtigste in Kürze:

1. Jedes Strafverfahren tangiert die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte.
2. Die vielfältige Grundrechtsrelevanz wird in der Praxis vernachlässigt.
3. Verfassungsbeschwerden gegen einzelne Ermittlungsmaßnamen sind vor allem hinsichtlich der Rechtwegerschöpfung, der Subsidiarität und dem Rechtsschutzinteresse verfassungsprozessrechtlich genau zu prüfen.
 

Rdn 1113

 

Literaturhinweise:

Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, 2008

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1114

1. Die mit der Verfassungsbeschwerde einforderbaren Positionen können nicht nur in der strafgerichtlichen Verurteilung als solcher relevant werden, sondern auch und vor allem im Ermittlungsverfahren. Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren greifen regelmäßig in Grundrechte des Betroffenen ein. Das ist bedenklich, weil die Wahrheit (besser: die prozessuale Wahrheit) erst im Laufe des Prozesses durch das Urteil ermittelt werden soll, sodass einerseits die Notwendigkeit energischen Zugreifens gegenüber dem möglichen Täter mit dem Erfordernis schonenden Vorgehens gegenüber dem vielleicht Unschuldigen in Einklang zu bringen ist (vgl. Roxin/Schünemann, § 1 Rn 5).

 

Rdn 1115

Jede staatliche Zwangsmaßnahme greift in grundrechtlich geschützte Bereiche ein. Das zeigt folgende Spannungsverhältnisse (vgl. Roxin/Schünemann, § 29 Rn 26) im

 

Rdn 1116

 

Überblick

Anstaltsbeobachtung: § 81 und Art. 2 Abs. 1 GG,
Körperliche Untersuchung: §§ 81a, c, d und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG,
Erkennungsdienstliche Maßnahme: § 81b und Art. 2 Abs. 1 GG,
DNA-Analyse: §§ 81eh und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG,
Beschlagnahme/Sicherstellung: §§ 94 u. §§ 111b ff. und Art. 2 Abs. 1, Art. 13 GG, Art. 14 GG,
Rasterfahndung §§ 98a, 98b und Art. 2 Abs. 1 GG,
Telekommunikationsüberwachung/TÜ: §§ 100a, b und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 10 GG,
Videoüberwachung, Lauschangriff: §§ 100cf und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 13 GG,
Verkehrs- und Vorratsdaten: § 100g und Art. 10 GG,
Technische Observation: § 100h und Art. 2 Abs. 1 GG, Imsi-Catcher § 100i und Art. 2 Abs. 1 GG,
Durchsuchung: § 102, f. und Art. 2 Abs. 1 GG,
Haussuchung § 102, 104 und Art. 13 GG,
verdeckter Ermittler: §§ 110a ff. und Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 13 GG (speziell bei der Tatprovokation – vgl. EGMR StraFO 2014, 504; BVerfG NJW 2015, 1083),
Kontrollstellen § 111 und Art. 2 Abs. 1 GG,
vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis: § 111a und Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 GG,
U-Haft: § 112 u. § 112a und Art. 2 Abs. 2 GG,
einstweilige Unterbringung § 126 und Art. 2 Abs. 2 GG,
vorläufige Festnahme: § 127 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 2 GG,
Hauptverhandlungshaft § 127b und Art. 2 Abs. 2 GG,
Steckbrief §§ 131ac und Art. 2 Abs. 1 GG,
Maßnahmen zur Sicherung und Vollstreckung: § 132 und Art. 14 GG,
vorläufiges Berufsverbot: § 132a und Art. 12 GG,
Vorführung: §§ 133 ff, 230 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 2 GG,
Identitätsfeststellung: §§ 163b, c und Art. 2 Abs. 1 GG,
Schleppnetzfahndung: § 163d und Art. 2 Abs. 1 GG,
Beobachtung und Observation: §§ 163e, f und Art. 2 Abs. 1 GG und
Festhalten von Störern: § 164 und Art. 2 Abs. 1 GG.
 

☆ Der Alltag von Strafverfolgungsbehörden ist von Grundrechtseingriffen durchzogen. Das verliert man nur allzu leicht aus dem Blick, wodurch die Wirkung der Grundrechte faktisch geschmälert wird ( Dallmeyer , S. 61). (Dallmeyer, S. 61).

 

Rdn 1117

2. Zu Grundrechtseingriffen kommt es aber auch außerhalb des Ermittlungsverfahrens:

 

Rdn 1118

a) Zu Verfassungsverstöße nach rechtskräftiger Verurteilung in der Strafvollstreckung und im Strafvollzug werden Verfassungsbeschwerden in nicht wenigen Fällen von den Gefangenen selbst angefertigt, sodass hier der Hinweis auf weiterführende Literatur (vgl. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 729, m.w.N.) genügen muss. In aller Kürze jedoch: Die Wegnahme der Kleidung und durchgängige Videoüberwachung im Strafvollzug ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar (vgl. BVerfG NJW 2015, 2100). Die materiell berührten Grundrechte und Art. 19 Abs. 4 GG sind verletzt, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Strafvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt werden (vgl. BVerfG NJW 2015, 2100).

 

Rdn 1119

Die in Art. 104 GG formulierten zusätzlichen Anforderungen an Freiheitsbeschränkungen spielten in jüngerer Zeit eine besondere Rolle im Zusammenhang

mit der Abschiebehaft (BVerfG, Beschl. v. 12.3.2008 – 2 BvR 2042/05),
beim Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung (BVerfG, Beschl. v. 22.6.2007 – 2 BvR 1046/07; Beschl. v. 24.9.2011 – 2 BvR 1165/11),
bei der Unterbringung von Kindern in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik (BVerfG, Beschl. v. 14.6.2007 – 1 BvR 338/07),
bei der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BVerfG, Beschl. v. 19.6.2013 – 2 BvR 2521/11; Beschl. v. 13.11.2013 – 2 BvR 1797/13; Beschl. v. 23.1.2014 – 2 BvR 119/12),
bei der Aufhebung von Haftverschonu...

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