Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Menschenrechtsbeschwerde sind im Wesentlichen in § 35 EMRK normiert.
2. Die Zuständigkeit des EGMR erstreckt sich auf alle Fragen der Auslegung und Anwendung der EMRK und ihrer Protokolle.
3. Die Erhebung einer Menschenrechtsbeschwerde ist ausgeschlossen, wenn sie anonym eingereicht wird, inhaltlich einer schon eingereichten Menschenrechtsbeschwerde entspricht oder inhaltlich identisch bereits einer anderen internationalen Prüfungsinstanz vorgelegt wurde.
4. Eine Menschenrechtsbeschwerde ist unzulässig im Fall des Missbrauchs des Beschwerderechts, wenn sie im Widerspruch zur EMRK steht oder offensichtlich unbegründet ist.
5. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Menschenrechtsbeschwerde ergeht isoliert oder zusammen mit der Entscheidung über deren Begründetheit. Die Entscheidung des EGMR über die Zulässigkeit ist nicht anfechtbar.
 

Rdn 424

 

Literaturhinweise:

Giegerich, Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen. Zulässigkeit, Gültigkeit und Prüfungskompetenz von Vertragsgremien, ZaöRV 55 (1990), 713

Meyer-Ladewig/Petzold, Trivialbeschwerden in der Rechtsprechung des EGMR, NJW 2011, 3126

Stahn, Vorbehalte zu Menschenrechtsverträgen, EuGRZ 2000, 607

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 425

1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Menschenrechtsbeschwerde sind im Wesentlichen in § 35 EMRK normiert. Danach setzt die Befassung des EGMR zunächst die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (→ Menschenrechtsbeschwerde, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 251) und die Einhaltung einer Frist (→ Menschenrechtsbeschwerde, Frist, Teil C Rdn 180) zur Einlegung der Beschwerde von sechs Monaten nach der letzten innerstaatlichen Entscheidung voraus. Art. 35 EMRK normiert neben diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen insbesondere Ausschlussgründe (Abs. 2; vgl. Rdn 427 ff.) sowie Unzulässigkeitsgründe (Abs. 3; vgl. Rdn 435 ff.).

 

Rdn 426

2. Nach Art. 32 Abs. 1 EMRK umfasst die Zuständigkeit des EGMR im Rahmen einer erhobenen Menschenrechtsbeschwerde alle die Auslegung und Anwendung der EMRK und ihrer Protokolle betreffenden Angelegenheiten. Fehler nationaler Gerichte bei der Tatsachenfeststellung, der Rechtsanwendung oder der Richtigkeit eines Schuldspruchs unterliegen der Gerichtsbarkeit des EGMR nur, soweit dadurch Konventionsrechte verletzt sein können. Über einen Streit über seine Zuständigkeit entscheidet der EGMR selbst, Art. 32 Abs. 2 EMRK.

 

Rdn 427

3. Der EGMR befasst sich nach Art. 35 Abs. 2 EMRK nicht mit einer Menschenrechtsbeschwerde, die anonym erhoben wurde (vgl. Rdn 428 ff.), im Wesentlichen mit einer dem EGMR bereits vorgelegten Beschwerde übereinstimmt (vgl. Rdn 431 ff.) oder schon einer anderen internationalen "Untersuchungs- oder Vergleichsinstanz" zur Prüfung vorgelegt wurde und keine neuen Tatsachen enthält (vgl. Rdn 433 ff.).

 

Rdn 428

a) Das Verbot der Anonymität soll die Identifikation des Beschwerdeführers gewährleisten (Frowein/Peukert/Peukert, Art. 35 EMRK Rn 48). Die für den EGMR wesentlichen Angaben fragt dieser durch das obligatorische Beschwerdeformular (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, formale Voraussetzungen, Teil C Rdn 420) ab. Wer nicht wünscht, dass seine Identität offengelegt wird, kann dies dem EGMR unter Angabe seiner Gründe mitteilen (Art. 47 Abs. 3 VerfO-EGMR).

 

Rdn 429

 

b) Hinweis für den Rechtsanwalt/Verteidiger

Auf Antrag des Beschwerdeführers oder von Amts wegen kann der Kammerpräsident Anonymität gewähren. Zum Ersuchen auf Anonymität hat der Präsident des Gerichtshofs Verfahrensanordnungen gem. Art. 32 VerfO-EGMR erlassen (→ Menschenrechtsbeschwerde, EGMR – Verfahrensgrundsätze, Teil C Rdn 135). Danach sollen entsprechende Anfragen laufende Fälle betreffend mit Beschwerdeerhebung oder möglichst kurzfristig danach gestellt werden. Der Beschwerdeführer soll die Gründe für das Ersuchen benennen und genau darlegen, welche Bedeutung die Offenlegung für ihn hat. Er sollte dann auch angeben, ob er die Benennung seiner Initialen oder eines Buchstabens wünscht.

 

Rdn 430

Auch in bereits erledigten Fällen kann nachträglich die Wahrung der Anonymität beantragt werden. In diesem Fall sollte der Beschwerdeführer zusätzlich erläutern, warum er nicht bereits im noch laufenden Verfahren um Anonymität ersucht hat. Wird einem solchen Gesuch stattgegeben, kann Anonymität unter anderem dadurch gewährt werden, dass Urteil oder Entscheidung aus der HUDOC-Datenbank gelöscht oder die persönlichen Daten aus Veröffentlichungen entfernt werden.

 

Rdn 431

c) Das Verbot der wiederholten Einreichung von Beschwerden soll die doppelte Belastung des Gerichtshofs mit demselben Fall verhindern. Eine Übereinstimmung liegt daher nur dann vor, wenn Beschwerdeführer, Sachverhalt und Beschwerdegegenstand identisch sind (EGMR [Pl.], Entsch. v. 9.1.1995 – 24872/94 [Pauger/Österreich] m.w.N.).

 

☆ Keine Beschwerdeidentität i.d.S. liegt vor, wenn sich derselbe Beschwerdeführer zunächst gegen konventionswidrige Bedingungen seiner Unter...

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