Das Wichtigste in Kürze:

1. Seine unmittelbare Wirkung entfaltet der Grundsatz der Subsidiarität im Zusammenhang mit der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs.
2. Allgemein lässt sich feststellen, dass die gerichtlich und gesetzlich vorgenommene ausufernde Inanspruchnahme des Grundsatzes der Subsidiarität mittlerweile im innerstaatlichen Strafverfahren zumindest zu unklaren Verhältnissen führt.
3. Es ist ausreichend i.S. eines wirksamen Schutzes der Menschenrechte auf dem Gebiet der Strafrechtspflege ausreichen, wenn Verstöße gegen die Grund- oder Menschenrechte innerhalb des innerstaatlichen (Straf-)Verfahrens einmalig in sich schlüssig und nachvollziehbar vor den nationalen Gerichten beanstandet worden sind.
 

Rdn 307

 

Literaturhinweise:

Broß, Zulässigkeitsanforderungen von Individualrechtsbehelfen – Aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 2006, 506

Eschelbach/Geipel/Weiler, Anhörungsrügen, StV 2010, 325

Jaeger, Menschenrechtsschutz im Herzen Europas. Zur Kooperation des Bundesverfassungsgerichts mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Gerichtshof für die Europäischen Gemeinschaften, EuGRZ 2005, 193

Lübbe-Wolff, Substantiierung und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde – Die Zulässigkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 2004, 669

Sir Konrad Schiemann, Zulässigkeitsanforderungen bei Individualrechtsbehelfen – Aus Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuGRZ 2006, 507

Sommer, Die Verzögerungsrüge: "Die Suche nach der verlorenen Zeit", StV 2012, 107

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 308

1.a) Seine unmittelbare Wirkung entfaltet der Grundsatz der Subsidiarität im Zusammenhang mit der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (→ Menschenrechtsbeschwerde, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 215). Dort wird seinem Grundgedanken, der demokratischen Idee eines staatlichen Aufbaus "von unten nach oben", durch gesetzliche Regelungen Rechnung getragen und so, neben dem Ziel eines effektiven und unmittelbaren Schutzes der Konventionsrechte des Einzelnen, auch die Souveränität der Vertragsstaaten und die Doktrin des nationalen Beurteilungsspielraums hinreichend beachtet.

 

☆ Der Grundsatz der Subsidiarität soll nach der Brighton-Erklärung vom 20.4.2012 nunmehr ausdrücklich in der Präambel der EMRK verankert werden (EuGRZ 2012, 264, 265; vgl. Rdn  310 ).Präambel der EMRK verankert werden (EuGRZ 2012, 264, 265; vgl. Rdn 310).

 

Rdn 309

Dem Strukturprinzip der Subsidiarität nicht unmittelbar immanent ist hingegen der Gedanke der Entlastung der "größeren Einheit" zur Erhaltung deren Funktionsfähigkeit. Diese obere Ebene soll nach dem ursprünglichen, nicht unbedingt staats- oder völkerrechtlichen begründeten, Verständnis und Zweck der Subsidiarität vielmehr ausschließlich zuständig sein, wenn die kleinere Einheit aus eigener Kraft nicht dazu in der Lage ist, eine ihr gestellte Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. Andererseits soll der unteren Ebene nicht entzogen und der supranationalen Instanz zugewiesen werden, was die nationalen Fachgerichte aus eigener Kraft und Initiative zu leisten vermögen.

 

☆ Im Bereich der Menschenrechte dient der Grundsatz der Subsidiarität daher ( auch ) der Effektivität deren Schutzes im Wege einer unmittelbaren und zeitnahen nationalen Abhilfe einer entsprechenden Konventionsverletzung oder der Kompensation ihrer Folgen. Erst wenn der Staat versagt, ist der Gerichtshof gefragt.dient der Grundsatz der Subsidiarität daher (auch) der Effektivität deren Schutzes im Wege einer unmittelbaren und zeitnahen nationalen Abhilfe einer entsprechenden Konventionsverletzung oder der Kompensation ihrer Folgen. Erst wenn der Staat versagt, ist der Gerichtshof gefragt.

 

Rdn 310

b) Der Beschwerdeführer ist somit, ohnehin auch im eigenen Interesse (→ Menschenrechtsbeschwerde, Rechtswegerschöpfung, Teil C Rdn 257), gehalten, seine auf die Konvention gestützten Rügen bereits vor den nationalen Gerichten vorzubringen, wenn er seine Rechtsposition nicht leichtfertig aufs Spiel setzen will. Die Brighton-Erklärung vom 20.4.2012 fordert den Gerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf, in seiner künftigen Rspr. dies, was prinzipiell kein Novum darstellt, vom Beschwerdeführer als Zulässigkeitsvoraussetzung zu verlangen (EuGRZ 2012, 264, 265). Hierfür sollen überdies neue innerstaatliche Beschwerdemöglichkeiten eingeführt werden, um bereits auf nationaler Ebene etwaigen Konventionsverletzungen abhelfen zu können. Insbesondere die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs soll dies nach der Brighton-Erklärung erforderlich machen. Dies entspricht auffallend der induktiven Auslegung des § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG durch das Bundesverfassungsgericht (s. dazu Lübbe-Wolf EuGRZ 2004, 669), nicht aber dem eigentlichen Gedanken der Subsidiarität.

 

☆ Hier besteht die konkrete Gefahr , dass der Problematik der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit eines Gerichts im Wege von Zulässigkeitshürden begegnet wird. Durch dies...

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