Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Konkretisierung des Beschwerdegegenstands ist der wesentliche Bestandteil der Menschenrechtsbeschwerde.
2. Die vorzunehmende Konkretisierung hat mit Blick auf Art. 46 EMRK und die innerstaatlichen Abhilfemöglichkeiten zu erfolgen. Hierbei ist jede einzelne Verletzung der Konvention für sich zu benennen und konkret darzulegen.
3. Die Prüfung einzelner Verstöße gegen die Konvention von Amts wegen nimmt der Gerichtshof nur in extremen Ausnahmefällen vor.
4. Der Beschwerdegegenstand umfasst nicht (mehr) eine zunächst erhobene Rüge, wenn der Beschwerdeführer diese zurücknimmt.
 

Rdn 63

 

Literaturhinweise:

→ Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 64

1. In der Bestimmung und Konkretisierung des Beschwerdegegenstandes liegt eine der wesentlichen Aufgaben bei der Ausarbeitung und Fertigung einer Menschenrechtsbeschwerde. Der Beschwerdegegenstand kann über Wohl oder Wehe des Beschwerdeführers entscheiden. Es ist daher von außerordentlicher Bedeutung, vor Erhebung einer Menschenrechtsbeschwerde zunächst deren Auswirkungen unter Berücksichtigung des konkreten Begehrens der Partei zu prognostizieren.

 

Rdn 65

 

Beispiel:

Eine konventionswidrige Hausdurchsuchung hat z.B. nicht zwingend die Unverwertbarkeit der insoweit gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel zur Folge. Während bei der Erhebung der Beweismittel deren Überprüfung anhand von Art. 8 EMRK in Form der, das nationale Verfahren abschließenden, verfassungsgerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Durchsuchung oder Beschlagnahme erfolgt, steht bei der Frage nach deren Verwertbarkeit das Urteil (auch) unter dem Blickwinkel des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf dem Prüfstand des Gerichtshofs.

 

Rdn 66

2.a) Der Beschwerdegegenstand begrenzt somit den Umfang der Entscheidung nicht nur als Auslegungshilfe im Allgemeinen (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, Zulässigkeitsvoraussetzungen, Teil C Rdn 423; → Menschenrechtsbeschwerde, Auslegung der Konvention, Teil C Rdn 11). Für den Betroffenen kann hiervon abhängen, ob er eine bloße Entschädigung in Geld erhält oder sein Verfahren nach § 359 Nr. 6 wiederaufgenommen wird (→ Wiederaufnahme, Antragsgründe, EGMR-Entscheidung, Teil B Rdn 1121).

 

☆ Im Vorfeld der Erhebung einer Menschenrechtsbeschwerde ist somit eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten mit Blick auf deren allgemeine und konkrete Auswirkung im Einzelfall notwendig.eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten mit Blick auf deren allgemeine und konkrete Auswirkung im Einzelfall notwendig.

 

Rdn 67

b) Bei der vorzunehmenden Prüfung sind insbesondere zu berücksichtigen folgende

 

Rdn 68

 

Prüfungskriterien:

Die Zuständigkeit des Gerichtshofs erstreckt sich ausschließlich auf den Sachverhalt (→ Menschenrechtsbeschwerde, Beschwerdebegründung, Teil C Rdn 46), wie er in der Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde (→ Menschenrechtsbeschwerde, Zulässigkeit, Teil C Rdn 454) festgestellt wird. Auch wenn der EGMR innerhalb dieser Grenzen grds. frei ist, sich mit jeder im Laufe des Verfahrens (neu) auftretenden Tatsache oder Rechtsfolge zu befassen und eine diesbezügliche Bindung an den Beschwerdevortrag nicht besteht (Grote/Marauhn/Schorkopf, Kap. 30 Rn 36 m.w.N.), wird die gerichtliche Prüfungskompetenz gleichwohl zwangsläufig durch die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen begrenzt (EGMR, Urt. v. 20.1.2011 – Nr. 21980/06 [Kuhlen-Rafsandjani /Deutschland Nr. 95], FamRZ 2011, 533).

Die Konvention erwartet vom Beschwerdeführer keine dahin gehende exakte rechtliche Einordnung unter Nennung der konventionsrechtlichen Bestimmung (EGMR, Urt. v. 6.11.1980 – Nr. 7367/76 [Guzzardi/Italien Nr. 61], NJW 1984, 544). Da diese wenig strenge Rügeobliegenheit auch auf den Umstand zurückzuführen ist, dass ein Großteil der Beschwerdeführer zunächst ohne rechtlichen Beistand am Verfahren teilnimmt, kann die Vertretung durch einen Rechtsanwalt aber durchaus als Argument für eine strengere Auslegung des Vortrags des Beschwerdeführers herangezogen werden (EGMR, Entsch. v. 1.9.2005 – 290/03 [Adam u.a./Deutschland Nr. 3 m.w.N.]).

 

☆ Jedenfalls muss die behauptete Verletzung der Konventionsrechte der Sache nach und innerhalb der Sechsmonatsfris t gem. Art. 35 Abs. 1 EMRK gerügt werden.Sechsmonatsfrist gem. Art. 35 Abs. 1 EMRK gerügt werden.

 

Rdn 69

 

Nicht ausreichend:

die kommentarlose Übersendung der letzten innerstaatlichen Entscheidung (EGMR, Urt. v. 1.2.2005 – Nr. 68368/01 [Bozinovski/Mazedonien]).
die bloße Nennung eines Konventionsartikels oder eines in der Konvention garantierten Rechts als Rüge aller unter diesem Recht denkbaren Verletzungen anzusehen (EGMR, Urt. v. 17.10.2002 – 64321/01 [Zervakis/Griechenland]).
 

☆ Jeder Konventionsverstoß muss im Einzelnen konkret benannt werden (→  Menschenrechtsbeschwerde, Beschwerdebegründung , Teil C Rdn  182 ). Dementsprechend ist bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen eine faire Führung des Strafverfahrens i.S.v. Art. 6 EMRK nicht von der zeitgleichen Erhebung einer Rüge der überlangen Verfahrensdau...

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