Das Wichtigste in Kürze:

1. § 79 BVerfGG regelt den Ausnahmefall einer Wiederaufnahme aus rechtlichen Gründen; es handelt sich um einen absoluten Wiederaufnahmegrund.
2. Ein Vollstreckungsverbot von Strafurteilen enthält § 79 BVerfGG nach seinem Wortlaut nicht; gleichwohl wird ein solches zumindest in Einzelfällen, teilweise auch generell bejaht.
3. Die Wiederaufnahme nach § 79 BVerfGG ist zulässig, wenn ein rechtskräftiges Strafurteil auf einer mit dem GG für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom BVerfG für nichtig bzw. unvereinbar mit dem GG erklärt worden ist.
4. Umstritten ist auch, ob die Wiederaufnahme nur zugunsten oder auch zulasten des Angeklagten angestrebt werden kann.
5. Im Wiederaufnahmeantrag muss neben einer schlüssigen Sachverhaltsdarstellung die Entscheidung des BVerfG benannt werden, durch welche die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Norm oder ihre Auslegung für verfassungswidrig erklärt wurde.
6. Es bestehen verfahrensrechtliche Besonderheiten.
 

Rdn 1116

 

Literaturhinweise:

Angerer/Stumpf, Nochmals: Auswirkungen der neuen Sitzblockade – Entscheidung des BVerfG – Wiederaufnahme aller bisherigen Verfahren oder nur der nach der ersten verfassungsgerichtlichen Entscheidung ergangenen Strafurteile?, NJW 1996, 2216 (kritische Replik auf Graßhof, NJW 1995, 3085)

Bahlmann, Der verfassungsrechtliche Wiederaufnahmegrund nach § 79 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, MDR 1963, 541

Bertram, Einzelne Fragen zum Wiederaufnahmeverfahren nach BVerfGG §§ 79 Abs. 1, StPO 359 ff., MDR 1962, 535

Dehn, Liegt in der Rechtsprechung des BVerfG zum Verfolgungshindernis bzw. zur Strafmilderung in Fällen von geheimdienstlicher Agententätigkeit von Angehörigen des MfS der früheren DDR ein Wiederaufnahmegrund?, NStZ 1997, 143

Dingeldey, Strafrechtliche Konsequenzen einer etwaigen Nichtigkeitserklärung des Parteifinanzierungsgesetzes durch das BVerfG, NStZ 1985, 337

Fornauf/Heger, Die Wiederaufnahme nach § 79 BVerfGG unter dem Blickwinkel der Sicherungsverwahrung – ein Mittel zur Wiedererlangung verfassungswidrig entzogener Freiheit, StraFo 2014, 284

Gast-de-Haan, Steuerstrafrechtliche Konsequenzen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich, BB 1991, 2490

Göhler, Folgeänderungen aus der Entscheidung des BVerfG zur PreisangabenVO für abgeschlossene Bußgeldverfahren, wistra 1984, 89

Graßhof, Auswirkungen der neuen Sitzblockade-Entscheidung des BVerfG, NJW 1995, 3085

Kneser, Der Einfluß der Nichtigerklärung von Normen auf unanfechtbare Entscheidungen, AöR 1964, 129

Kreß, Die verfassungsrechtliche Pflicht der deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Berücksichtigung des Wiener Konsularabkommens, GA 2007, 296

Krey, Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – ein Gericht läuft aus dem Ruder. Kritische Anmerkungen anlässlich des Sitzblockaden-Beschlusses des Ersten Senats vom 10.1.1995, JR 1995, 221, 265

Rau/Zschieschack, Reaktionsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft auf verfassungswidrige Strafbefehle, JuS 2005, 802

Roellecke, Bio-Recht oder die Sanftmut von Gesäß-Protestierern, NJW 1995, 1525

Wasserburg, § 79 Abs. 1 BVerfGG im Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit, StV 1982, 237

Weber-Klatt, Die Wiederaufnahme zu Ungunsten des Angeklagten, 1996

Weyand, Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Steuerstrafverfahren, PStR 2007, 189

Wingerter, Möglichkeiten des Betreibens von Wiederaufnahmeverfahren gegen zu Unrecht verfolgte Verurteilungen in Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz, StV 2006, 496

Zimmermann, Wiederaufnahme von Bagatellverfahren nach dem Cannabis-Beschluss des BVerfG? – Ein Beitrag zur Auslegung von § 79 BVerfGG, NJW 1995, 2471

s.a. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1117

1. Bei § 79 BVerfGG handelt es sich um einen absoluten Wiederaufnahmegrund (Wasserburg StV 1982, 237 m.w.N.; a.A. Reiff NJW 1960, 1559). Er steht systematisch außerhalb des Wiederaufnahmerechts, da hier – anders als in den Fällen des § 359 Nr. 1 – 5 – nicht Tatsachen, sondern Rechtsfragen die Wiederaufnahme begründen können. Es handelt sich damit um einen eigenständigen Wiederaufnahmetatbestand (BGHSt 18, 339; zu den Unterschieden zwischen § 359 und § 79 BVerfGG vgl. BGH NJW 1963, 1364), sodass die §§ 359, 362, 363, 364 nicht gelten (BGH NJW 1963, 1364; LR-Gössel, vor § 359 Rn 165) und die Entscheidung des BVerfG keine unmittelbare Wirkung auf den Bestand strafrechtlicher Erkenntnisse hat (Wasserburg StV 1982, 237).

 

Rdn 1118

2. § 79 Abs. 2 BVerfGG regelt die Aussetzung der Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen, wenn sie auf einer verfassungswidrigen Norm beruhen. Hinsichtlich strafgerichtlicher Entscheidungen soll die Entscheidung des BVerfG aber keine Auswirkungen haben: Nach h.M. soll § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG nur die Vollstreckbarkeit sonstiger rechtskräftiger Entscheidungen betreffen, denn mit Abs. 1 sei eine Sonderregelung getro...

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