Das Wichtigste in Kürze:

1. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag und daher als solcher auszulegen.
2. Nach der Rspr. des EGMR ist die EMRK ein "lebendes Instrument", welches im Licht der aktuellen Bedingungen auszulegen ist.
3. Auch die EMRK selbst gibt Auslegungsregelungen vor.
 

Rdn 12

 

Literaturhinweise:

Rudolf/v. Raumer, Der Schutzumfang der Europäischen Menschenrechtskonvention – Individuelle Freiheitsrechte, Verfahrensgarantien und Diskriminierungsverbote im Vergleich zum GG, AnwBl 2009, 318

Weigend, Die Europäische Menschenrechtskonvention als deutsches Recht – Kollisionen und ihre Lösung, StV 2000, 384

s.a. die Hinweise bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 13

1.a) Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag und daher als solcher auszulegen. Neben allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind hierfür im Wesentlichen die Auslegungsgrundsätze des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens von 1969 (Art. 31 – 33 WVK) maßgeblich (EGMR [GK], Urt. v. 9.1.2008 – 13229/03 [Saadi/GB Nr. 61 f.], NVwZ 2009, 375). Wie grds. bei multilateralen zum Beitritt offenen rechtssetzenden Verträgen, die nicht wechselseitige Verpflichtungen regeln, sondern einen gemeinsamen übernationalen Schutzzweck verfolgen, ist diese gemeinsame Zielsetzung zugleich Richtmaß für die Auslegung der Konventionsbestimmungen (LR-Esser, EMRK Einführung Rn 179 m.w.N.).

 

☆ Deren Bedeutung ist nach dem Wortlaut der maßgeblichen Sprachen, anderen vertraglichen Vereinbarungen der Vertragsparteien die Konvention betreffend, einer Übereinkunft oder bekannten Absicht über dessen Auslegung, der späteren Übung bei Anwendung des Vertrags und jedem in der Beziehung zwischen den Vertragsparteien anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssatz zu ermitteln ( Art. 31 WVK ). Ergänzende Auslegungsmittel können nach Art. 32 WVK hinzugezogen werden, wenn die zuvor genannten nicht zu einem eindeutigen oder zu einem unvernünftigen Ergebnis kommen.Art. 31 WVK). Ergänzende Auslegungsmittel können nach Art. 32 WVK hinzugezogen werden, wenn die zuvor genannten nicht zu einem eindeutigen oder zu einem unvernünftigen Ergebnis kommen.

 

Rdn 14

b) Ausweislich der Schlussklausel der EMRK sind die englische und die französische Sprache für den Wortlaut der Konvention gleichermaßen verbindlich und damit Grundlage deren Auslegung. Nach Art. 33 Abs. 3 WVK wird vermutet, dass beiden Texten jeweils dieselbe Bedeutung zukommt. Differenzen sind dahin gehend aufzulösen, dass zunächst die Bedeutung ermittelt wird, bei der die verschiedensprachigen Texte am weitesten miteinander in Einklang gebracht werden ("harmonisierende Interpretation" Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn 4).

 

☆ Soweit eine Übereinstimmung der beiden Texte im Wege der Auslegung nach den allgemeinen Regelungen der Art. 31 f. WVK nicht erzielt werden kann, ist der bestehende Konflikt nach Sinn und Zweck aufzulösen . Es ist die Auslegung maßgebend, die Sinn und Zweck des Vertrags am besten entspricht, Art. 33 Abs. 4 WVK.Konflikt nach Sinn und Zweck aufzulösen. Es ist die Auslegung maßgebend, die Sinn und Zweck des Vertrags am besten entspricht, Art. 33 Abs. 4 WVK.

 

Rdn 15

c) Der historischen Auslegung kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu (LR-Esser, EMRK Einführung Rn 187). Die historische Interpretation einzelner Menschenrechte ist im Wesentlichen auf die Entstehungsgeschichte des Vertrags, den seinerzeitigen Willen der Vertragsstaaten und den rechtlichen Zusammenhang zum Entstehungszeitpunkt in allen Vertragsstaaten beschränkt (Grabenwarter/Pabel, § 5 Rn 7).

 

Rdn 16

2. Der EGMR betont in ständiger Rspr., dass die EMRK ein lebendes Instrument ("living instrument"/“instrument vivant“) sei, welches im Licht der aktuellen Bedingungen auszulegen sei, so dass er mit ihrer Anwendung den gewandelten Verhältnissen in wirtschaftlicher, sozialer und ethischer Hinsicht Rechnung tragen kann (statt vieler: EGMR [GK], Urt. v. 23.3.1995 – 15318/89 – Preliminary Objections [Loizidou/Türkei Nr. 71]). Der EGMR legt die EMRK im Einklang mit den Grundsätzen des Völkerrechts aus (EGMR, Urt. v. 12.12.2001 – 52207/99 [Banković/17 Nato-Staaten Nr. 55–58], NJW 2003, 413) und berücksichtigt dabei auch andere internationale Vereinbarungen (EGMR, Urt. v. 8.12.1999 – 28541/95 [Pelligrin/Frankreich Nr. 66], NVwZ 1995, 237), unabhängig davon, ob der betroffenen Staat diese Verpflichtung selbst eingegangen ist (EGMR [GK], Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97 [Demir u. Baykara/Türkei Nr. 69 ff., 78], NZA 2010, 1425).

 

Rdn 17

Er nimmt im Übrigen insbesondere zur Klärung unbestimmter Rechtsbegriffe eine "autonome" Auslegung vor (EGMR, Urt. v. 8.6.1976 – 5100/71 [Engel u.a./Niederlande Nr. 80 ff., EGMR-E 1, 178 [189] zum Begriff "strafrechtlicher Anklage"). Hierzu berücksichtigt der EGMR die Systematik der EMRK, deren Zielsetzung und die Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen (EGMR, Urt. v. 28.6.1978 – 6232/73 [König/Deutschland Nr. 88 f.], EGMR-E 1, 278, 298 zum Begriff "zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen"). Zu Letzterem ...

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