Das Wichtigste in Kürze:

1. Der gravierendste Belehrungsmangel liegt vor, wenn die Belehrung überhaupt unterlassen wurde.
2. Die Rechtsmittelbelehrung darf nicht falsch sein.
3. Eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung ist wie eine unterlassene zu behandeln.
4. Die Rechtsmittelbelehrung darf nicht missverständlich sein.
5. Die Rechtsmittelbelehrung darf auch insgesamt keine Widersprüche enthalten.
 

Rdn 1367

 

Literaturhinweise:

s. die Hinw. bei → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Belehrung, Allgemeines, Teil A Rdn 1338.

 

Rdn 1368

1. Der gravierendste Belehrungsmangel liegt vor, wenn die Belehrung überhaupt unterlassen wurde. In den Rechtsfolgen gleichgestellt sind die – nachfolgend erörterten – Fälle (vgl. Rdn 1371 ff.), in denen eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt wird oder die Belehrung unvollständig, missverständlich oder widersprüchlich ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 35a Rn 13 ff.).

 

Rdn 1369

Belehrungsmängel wirken sich deshalb fatal aus, weil trotz dieses eklatanten Versäumnisses die Rechtsmittelfrist nicht gehemmt ist. § 44 S. 2 sieht in einem solchen Fall lediglich vor, dass dem potenziellen Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist und dabei die Fristversäumung als unverschuldet angesehen werden muss. Diese Vermutung hebt aber nur das Erfordernis fehlenden Verschuldens des Antragstellers auf, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis ist aber auch in diesem Fall darzulegen (BGH NStZ 2001, 45). Zwar dürfen an diesen Vortrag keine überspannten Anforderungen gestellt werden (BVerfG NJW 1991, 2277); der Antragsteller muss aber immerhin dartun, dass er die Frist infolge des Fehlens oder der unzutreffenden Belehrung nicht gekannt hat (OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2007, 206; → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Allgemeines, Teil B Rdn 1479, m.w.N.).

 

Rdn 1370

An dieser Stelle ist bereits das Gesetz selbst politisch inkorrekt, weil es – unzulässig – eine Verlagerung der Verantwortung von dem "Verpflichteten" auf den "Berechtigten" vornimmt. Schafft es nämlich Regelungen über Fristen und knüpft es an deren Nichteinhaltung nachteilige Rechtsfolgen wie den Verlust von Rechten, müsste "von Rechts wegen" das Eintreten dieser Folgewirkungen (hier: Beginn und Lauf der Frist) jedenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn es seinerseits von Voraussetzungen abhängt, die das Gericht zunächst zu schaffen verpflichtet ist. Es dürfte deshalb nicht sein, dass die Verletzung der Belehrungspflicht durch Unterlassen nur dann nicht zum endgültigen Rechtsverlust des Belehrungsberechtigten führt, wenn dieser das gesonderte Verfahren der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – erfolgreich – betreibt. Die StPO räumt dadurch nicht nur dem Verfahrensfortgang Vorrang vor den Rechten dessen ein, um den es im Verfahren geht, sie toleriert auch ein Verhalten, das man im Schuldrecht unter dem Stichwort des "venire contra factum proprium" kennt.

 

Rdn 1371

2. Die Rechtsmittelbelehrung darf nicht falsch sein. Belehrt der Richter mündlich zutreffend, wird aber das eine unzutreffende Belehrung enthaltendes Merkblatt ausgehändigt, ist die Belehrung insgesamt unzutreffend (Meyer-Goßner/Schmitt, § 35a Rn 15).

 

Rdn 1372

3. Auch eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung ist wie eine unterlassene zu behandeln. Zum Mindestinhalt s. → Rechtmittel/Rechtsbehelfe, Belehrung, Inhalt, Teil A Rdn 1357.

 

Rdn 1373

 

Beispiel (nachgebildet BVerfG NJW 1971, 2217):

Ein gegen den Angeklagten erlassener Strafbefehl wurde am 12.12.2012 durch Niederlegung mit ordnungsgemäßer Benachrichtigung (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Ersatzzustellung, Teil A Rdn 1903 ff.) zugestellt. Zusammen mit der übrigen Post wurde die Mitteilung durch die Ehefrau des Angeklagten aus dem Briefkasten entnommen. Erst am 25.12.2012 entdeckte der Angeklagte die Mitteilung, holte den Strafbefehl am 27.12.2012 von der Post ab, rief am nächsten Tag seinen Anwalt an, der ihn noch für den gleichen Tag einbestellte, selbst am PC einen Wiedereinsetzungsantrag tippte und diesen auf dem Nachhauseweg in den Nachbriefkasten des zuständigen Gerichts einwarf.

 

Rdn 1374

Der Streit entzündete sich in diesem Fall, an der Frage, ob die Belehrung über die Einlegungsfrist auch den Hinweis enthalten muss, dass sie sich auf den nächstfolgenden Werktag verlängert, wenn das Fristende auf einen Sonnabend, Sonntag oder Feiertag (§ 43 Abs. 2) fällt (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Fristen, Fristberechnung, Teil A Rdn 1566 ff.). Sowohl die Fachgerichte als auch das BVerfG (BVerfGE 31, 388) haben diese Frage verneint. Seitens der Fachgerichte wurde die Auffassung vertreten, am 27.12.2010 sei die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen gewesen; dem Angeklagten sei es ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen, bei dem AG, einem Rechtsanwalt oder einer sonstigen rechtskundigen Person sofort – eventuell telefonisch – Erkundigungen über das Ende der Einspruchsfrist einzuholen, sodass ihn an der Fristversäumung ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden tr...

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