Das Wichtigste in Kürze:

1. Bis zur Rechtskraft des Urteils kann der Richter gem. § 71 Abs. 1 JGG vorläufige Anordnungen über die Erziehung des Jugendlichen treffen oder die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII anregen.
2. Das statthafte Rechtsmittel gegen eine vorläufige Anordnung über die Erziehung ist gem. § 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 304 die (einfache) Beschwerde.
 

Rdn 782

 

Literaturhinweise:

Lüthke, Vorläufige Maßnahmen nach §§ 71, 72 JGG, insbesondere die Unterbringung in offenen Einrichtungen als Alternative zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen, Zbl 1982, 125

Smok, Vorläufige Anordnung über die Erziehung nach § 71 JGG – Eine vernachlässigte Vorschrift?, 2009

s.a. die Hinw. bei → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 620.

 

Rdn 783

1.a) Bis zur Rechtskraft des Urteils kann der Richter gem. § 71 Abs. 1 JGG vorläufige Anordnungen über die Erziehung des Jugendlichen treffen oder die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) anregen. Vorläufige Anordnungen entsprechen tendenziell den Weisungen, sind jedoch nicht erzwingbar. Es muss sich um vorläufig überbrückende Maßnahmen mit Einfluss auf die Lebensführung handeln. Ein zwangsweiser Freiheitsentzug darf nicht damit verbunden sein (Eisenberg, § 71 Rn 5).

 

Rdn 784

Als vorläufige Maßnahmen kommen in Betracht:

Betreuungsweisung,
Übernahme oder Wechsel eines Arbeitsplatzes oder einer Ausbildungsstelle,
Weisungen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
kontrollierter Schulbesuch,
Aufnahme in einer Wohngemeinschaft, einem Heim oder einer Familie, allerdings nur mit Einwilligung des Jugendlichen (Lüthke, S. 126; a.A. Ostendorf, § 71 Rn 6).
 

Rdn 785

Die Maßnahmen können auch eingesetzt werden, um Untersuchungshaft zu vermeiden (→ JGG-Besonderheiten, Heimunterbringung, einstweilige, Teil A Rdn 788 ff.; → JGG-Besonderheiten, Untersuchungshaft, Teil A Rdn 946 ff.). In der Praxis ist die Vorschrift – jedenfalls in diesem Zusammenhang – jedoch bedeutungslos (zu den Ursachen Smok, S. 257).

 

Rdn 786

b) Die Vorschrift ist anwendbar auf Jugendliche; in Verfahren vor den allgemeinen Gerichten jedoch nur als Ermessensvorschrift (§ 104 Abs. 2 JGG), auch Heranwachsende nicht, selbst wenn materiell Jugendstrafrecht auf sie angewandt wird, da sie bereits volljährig sind (§ 109 Abs. 1 S. 1 JGG).

 

Rdn 787

2. Das statthafte Rechtsmittel gegen eine vorläufige Anordnung über die Erziehung ist gem. § 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 304 die (einfache) Beschwerde. Die sachliche Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 1 JGG (→ JGG-Besonderheiten, Rechtsmittelbeschränkung, Teil A Rdn 840 ff.) gilt auch hier (Brunner/Dölling, § 71 Rn 11; Ostendorf, § 71 Rn 13; a.A. Eisenberg, § 71 Rn 15).

Siehe auch: → Beschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 399; → JGG-Besonderheiten, Allgemeines, Teil A Rdn 619; → JGG-Besonderheiten, Heimunterbringung, einstweilige, Teil A Rdn 788; → JGG-Besonderheiten, Untersuchungshaft, Teil A Rdn 947.

[Autor] Schimmel

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