Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Wirksamkeit des Verzichts auf Leistungen für die Unterkunft. Anfechtbarkeit. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Anforderungen an ein schlüssiges Konzept

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verzicht von Sozialleistungen setzt nicht voraus, dass der Verzichtende über die konkrete Höhe seines (möglichen) Leistungsanspruch Kenntnis hat, sprich bei Geldleistungen auf einen genauen Betrag verzichtet. Dass die Klägerin die Erklärung möglicherweise nie abgegeben hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die im Zuständigkeitsbereich des Beklagten angenommenen Angemessenheitskriterien für unschlüssig im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erachtet werden würden (vgl so jedenfalls LSG Stuttgart vom 22.6.2010 - L 13 AS 4212/08), mithin ihr gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 höhere Leistungen für Unterkunft zustehen könnten (noch ungeklärt, vgl BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 16/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 59), stellt die Annahme eines Verzichts nicht in Frage, sondern ist allenfalls als Irrtum im Rahmen der Wirksamkeit des Verzichts zu prüfen.

2. Ein Verzicht auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 ist auch nicht deshalb unwirksam, weil mit ihm auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums verzichtet wird.

3. Für die Frage, ob ein schlüssiges Konzept iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Angemessenheit von Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vorliegt, kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, ob das gesamte Konzept schlüssig ist. Ausreichend ist vielmehr, dass ein klar und eindeutig abgrenzbarer Teil des Konzeptes, welcher allein maßgebend für die Entscheidung eines konkreten Falles ist, den Anforderungen des Bundessozialgerichts an ein schlüssiges Konzept genügt.

4. Der Umstand, dass der Leistungsträger lediglich Wohnungen von Beziehern von SGB 2, SGB 12 und AsylbLG-Leistungen herangezogen hat und somit einen "Transferleistungsempfänger-Mietspiegel" konzipiert haben dürfte, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

5. Die Kammer hat jedoch insofern Bedenken bezüglich der Schlüssigkeit des Konzepts, als eine Kappung "nach oben" vorgenommen wurde. Dies führt jedoch vorliegend nicht dazu, dass mittels des Konzepts des Beklagten nicht die Angemessenheit der Wohnung der Klägerin iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 bestimmt werden könnte. Die Kammer sieht sich vorliegend in der Lage, auf der Grundlage des vom Beklagten vorgelegten Datenmaterials die Angemessenheitsgrenzen am Wohnort der Klägerin für einen 2-Personen-Haushalt zu bestimmen. Die Kammer schließt sich dabei der Auffassung der 7. Kammer des Sozialgerichts Freiburg im Urteil vom 1.3.2012 - S 7 AS 4477/11 an und ermittelt den für den Personenkreis "2-Personenhaushalt in der Raumschaft Hexental/Schneckental" angemessenen Kaltmietzins unter Einbezug der vom Beklagten für dieses Segment nicht berücksichtigten Wohnungen mit einer Miete von über 8,00 €/qm. Nach Auffassung der Kammer kann so ein Konzept zur Bestimmung der angemessenen Miete iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 geschaffen werden, welches den Schlüssigkeitskriterien des Bundessozialgerichts entspricht.

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 10.06.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 03.08.2010 werden aufgehoben, soweit eine Abänderung der Leistungsbescheide für den Zeitraum 01.05.2009 bis 31.08.2009 abgelehnt wurde.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide für den Zeitraum 01.05.2009 bis 31.08.2009 Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung einer Kaltmiete in Höhe von 344,40 € monatlich zu gewähren.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten.

Die am ...1977 geborene Klägerin und ihr am ...2004 geborener Sohn sind zum 01.12.2005 von … in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen und beziehen seitdem vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Sie mieteten zum 01.12.2005 eine Wohnung zu einer Kaltmiete von 350,00 € zzgl. 15,00 € Garagenmiete zzgl. einer monatlichen Vorauszahlung für Nebenkosten, Heiz- und Warmwasserkosten an. Der Beklagte wies die Klägerin vor dem Umzug auf die nach seiner Auffassung unangemessenen Kaltmietkosten hin. Er gewährte jedoch Maklerkosten sowie die Mietkaution nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 03.11.2005 erklärte: “Der Differenzbetrag zwischen 306,60 € Bezuschussung und der tatsächlichen Miete von 350,00 € wird durch die “Einnahmen„ von Kindergeld 154,- €, Unterhaltsvorschuss 127,- €, Bundeserziehungsgeld 300,- € gedeckt sein„. In der Folgezeit gewährte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung einer monatlichen Kaltmiete i.H.v. 306,60 €.

Mit Schriftsatz vom 30.10.2009 stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Beklagten einen...

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