Entscheidungsstichwort (Thema)

Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes gemäß § 90 Absatz 1 Satz 1 SGB 7 bei einen Arbeitsunfall während der Ausbildung

 

Orientierungssatz

1. Erleidet jemand vor oder während seiner Ausbildung einen Arbeitsunfall und wird hierdurch seine Ausbildung weder abgebrochen noch verzögert, ist dennoch die Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nicht ausgeschlossen, sondern der Jahresarbeitsverdienst gemäß § 90 Absatz 1 Satz 1 SGB 7 von dem Zeitpunkt des wirklichen Endes der Ausbildung an neu festzusetzen.

2. Hierbei ist - insbesondere in den Fällen, in denen ein Beschäftigter nach Ende seiner Ausbildung im Beschäftigungsbetrieb verbleibt - grundsätzlich sachlich und örtlich auf die Verhältnisse im Ausbildungsbetrieb abzustellen und insoweit die am Stichtag geltende branchenspezifische Tarifregelung heranzuziehen.

3. Steht jedoch fest, dass der Leistungsberechtigte nach Ausbildungsende nicht mehr im Ausbildungsbetrieb weiter beschäftigt worden wäre, ist der Jahresarbeitsverdienst nach Maßgabe des § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB 7 an dem Entgelt auszurichten, dass dem durch die Ausbildung angestrebten Beruf entspricht.

4. Wird die betreffende Berufstätigkeit von Tarifverträgen für verschiedene Wirtschaftszweige erfasst, die zu verschiedenen Entgelthöhen führen, wird dabei hinsichtlich der beabsichtigten Tätigkeit in einem dieser Wirtschaftszweige von den glaubhaften Angaben des Versicherten auszugehen sein.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.09.2012; Aktenzeichen B 2 U 11/11 R)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides 04.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2008 verurteilt, der Berechnung der Verletztenrente des Klägers einen anderen Jahresarbeitsverdienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde zu legen und ihm hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen.

2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Berücksichtigung eines höheren JAV (Jahresarbeitsverdienst) bei der von der Beklagten nach § 90 Abs. 1 SGB VII (Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung) vorzunehmenden Neufestsetzung seiner Unfallrente.

Der am 00.00.1978 geborene Kläger wurde am 25.09.1986 gegen 13:40 Uhr auf dem Heimweg von der Schule von einem LKW angefahren und zog sich dadurch erhebliche Verletzungen zu. Der S H (als damals zuständiger Unfallversicherungsträger - die Beklagte ist hier Rechtsnachfolgerin) erkannte das Ereignis als sog. Arbeitsunfall (Wegeunfall) an (nach §§ 548 Abs. 1 Satz 1, 550 Abs. 1, 539 Abs. 1 Nr. 14 lit. b RVO (Reichsversicherungsordnung) - vgl. jetzt: §§ 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII). Der Kläger erhielt wegen der Unfallfolgen von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine entsprechende Verletztenrente zugesprochen (vgl. Bescheide vom 22.07.1988 und 31.01.1994). Als JAV wurde der Rentenberechnung - wie in § 575 Abs. 1 RVO vorgesehen - bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 40 v.H. der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden Bezugsgröße (vgl. § 18 SGB IV (Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung)) zugrunde gelegt, ab Vollendung des 18. Lebensjahres sodann 60 v.H. (Bescheid vom 12.07.1996).

Nach der - am 01.01.1997 in Kraft getretenen (Art. 36 S. 1 UVEG (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz)) - und gem. § 214 Abs. 2 S. 1 SGB VII bei Neufestsetzung des JAV auch auf Versicherungsfälle vor seinem Inkrafttreten anzuwendenden - Vorschrift des § 90 Abs. 1 SGB VII wird der JAV, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre, wenn der Versicherungsfall vor Beginn einer Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung eingetreten ist. Der Neufestsetzung wird dann das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, welches in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen ist; bei Fehlen einer tariflichen Regelung ist das Arbeitsentgelt maßgeblich, welches für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort maßgebend ist.

Im Juni 2000 beendete der Kläger erfolgreich eine Ausbildung zum Fachinformatiker - Anwendungsentwicklung (Zeugnisse der Berufsschule vom 21.06.2000 und der IHK (Industrie- und Handelskammer) Mittler Niederrhein vom 15.06.2000 sowie des Ausbildungsbetriebs JUA J-A S2/N) vom 30.06.2000).

Die Beklagte erhöhte den der Rentenberechnung zugrunde zu legenden JAV ab dem 16.06.2000. Sie ging dabei von dem Verdienst eines Datenverarbeitungskaufmanns - Fachrichtung Fachinformatiker (JAV &61620; 21.381,09 EUR) aus (Bescheid vom 04.06.2004).

Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 13.02.2008).

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er weist mit Nachdruck darauf hin, dass er keine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann im Einzelhandel absolviert habe, sondern eine...

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