Rz. 109
Im Gegensatz zur derogierbaren Ordnung der gesetzlichen Erbfolge umfasst das Pflichtteilsrecht diejenigen Bestimmungen, die sich auch gegen abweichende Anordnungen des Erblassers durchsetzen lassen. Dem Pflichtteilsrecht kommt mithin zwingende Bedeutung zu, und die gebundene Quote bleibt der Verfügung des Erblassers entzogen in dem Sinne, als eine die Pflichtteile nicht beachtende Anordnung anfechtbar ist.[163] Will der Erblasser trotz Vorhandenseins von Pflichtteilserben die volle Verfügungsfreiheit erlangen, muss er mit seinen sämtlichen Noterben einen Erbverzichtsvertrag[164] abschließen, was in der Praxis nur selten möglich sein dürfte.
Rz. 110
Der Pflichtteil muss dem Berechtigten ungemindert, unbelastet, unbedingt und frei von Auflagen zu Eigentum zukommen.[165] Ebenso unzulässig zu Lasten des Pflichtteils sind eine Nacherbeneinsetzung – allerdings unter Vorbehalt der Bestimmung von Art. 492a ZGB über urteilsunfähige Nachkommen[166] (Art. 531 ZGB) – oder die Anordnung der Erbschaftsverwaltung auf Lebenszeit.[167] Umstritten ist, ob der Pflichtteilsberechtigte – unter Vorbehalt der Enterbung, der Ausschlagung und des Erbverzichts – in jedem Fall Anspruch auf Einräumung der Erbenstellung hat.[168]
Rz. 111
Der Erblasser kann einem Erben den Pflichtteil entziehen, wenn dieser den Familiengedanken in schwerwiegender Weise verletzt hat (Strafenterbung, Art. 477 ZGB), mit der Folge, dass seine Erbenstellung entfällt (Art. 478 Abs. 1 ZGB). Im Sinne einer sog. Präventiventerbung kann sodann einem überschuldeten Erben die Hälfte seines Pflichtteils entzogen werden (Art. 480 ZGB).
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