1. Überblick

 

Rz. 9

Die Überschrift des 3. Abschnitts ist nicht präzise formuliert. Richtig an der Überschrift ist, dass sich die Gebühren in Unterbringungssachen nach VV 6300 ff. richten. Unzutreffend ist, dass der Wortlaut zu der Annahme verleitet, die VV 6300 ff. gelten umfassend für freiheitsentziehende Maßnahmen und nicht lediglich für die in § 415 FamFG legal definierten Freiheitsentziehungssachen. Irreführend an der Überschrift ist darüber hinaus, dass die Kindschaftssachen nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG gar nicht erwähnt sind. Der Umstand, dass § 167 FamFG auf die §§ 312 ff. verweist, macht die Kindschaftssachen des § 151 Nr. 6, 7 FamFG nicht zu Unterbringungssachen i.S.d. § 312 FamFG. Abschnitt 3 würde deshalb besser wie folgt eingeleitet werden: "Gerichtliche Verfahren in Freiheitsentziehungs-, Unterbringungs- und Kindschaftssachen nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG". Dies würde der auch vom Gesetzgeber mit Inkrafttreten des FamFG bewusst gewählten Intention Rechnung tragen, Verfahrensgegenstände abschließend zu definieren, um Abgrenzungen treffsicher zu erreichen.

2. Verfahren bei Freiheitsentziehungssachen

a) Freiheitsentziehung nach Bundesrecht

 

Rz. 10

Die Vorschriften der VV 6300 ff. gelten für Verfahren nach § 415 FamFG. Ungeachtet des weit reichenden, nicht ausreichend differenzierenden Wortlauts der Überschrift fallen insbesondere Tätigkeiten in Strafsachen nicht unter VV 6300; diese sind nach VV Teil 4 zu vergüten.[2] Abzuleiten ist dies aus § 415 Abs. 1 FamFG, der Freiheitsentziehungssachen als Verfahren definiert, die die aufgrund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist. Kurzfristige, von vornherein als vorübergehend angesehene polizeiliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs, die zu einer Freiheitsbeschränkung führen, sollen von § 415 FamFG nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erfasst sein.[3] Allerdings können längerfristige, über mehrere Stunden, andauernde Ingewahrsamnahmen außerhalb einer Einrichtung, die von ihrer Intensität einem Einschließen in einem abgeschlossenen Raum gleichkommen, unter Umständen eine Freiheitsentziehung darstellen. Dies soll die Formulierung "insbesondere" klarstellen.[4]

 

Rz. 11

Freiheitsentziehungssachen i.S.d. § 415 FamFG sind insbesondere folgende gerichtliche Verfahren:[5]

Abschiebehaft gem. § 62 AufenthG,[6]
Zurückschiebungshaft (§§ 57 Abs. 3, 62 AufenthG),[7]
Freiheitsentziehung nach § 30 IfSG:[8] Das Verfahren richtet sich in diesen Fällen gem. § 30 Abs. 2 S. 4 IfSG nach §§ 415 ff. FamFG. Es handelt sich um ein gerichtliches Verfahren, wenn für die zwangsweise Unterbringung eine richterliche Anordnung benötigt wird (vgl. § 417 FamFG),
Verfahren nach § 23 Abs. 3 S. 4, § 25 Abs. 3, § 39 Abs. 1 und 2 und § 43 Abs. 5 BPolG,
Verfahren bei Freiheitsentziehungen (Einschränkung von Grundrechten) nach § 89 Abs. 2 AsylG,
Ingewahrsamnahmen nach § 57 BKAG und
Verfahren des Zollkriminalamts nach § 23 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 ZFdG.
[2] Hartung/Römermann/Schons/Hartung, RVG, VV 6300–6303 Rn 5; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, VV 6300–6303 Rn 1; OLG Frankfurt AGS 2000, 71.
[3] BT-Druck 16/6308 S. 290.
[4] BT-Druck 16/6308 S. 290.
[5] BGH 29.3.2012 – V ZB 309/10, AGS 2012, 472 = RVGreport 2012, 302; BGH 13.6.2012 – XII ZB 346/10, RVGreport 2012, 381; LG Berlin JurBüro 1976, 1084; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 234 m. Anm. Mümmler; BayObLG JurBüro 1988, 1663.
[6] BGH 29.3.2012 – V ZB 309/10, AGS 2012, 472 = RVGreport 2012, 302.
[7] LG Saarbrücken 15.3.2013 – 5 T 415/12, RVGreport 2013, 198; LG Saarbrücken 15.3.2013 – 5 T 416/12, RVGreport 2013, 225.
[8] So auch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, VV 6300–6303 Rn 1.

b) Freiheitsentziehung nach Landesrecht und abweichende bundesrechtliche Regelungen

 

Rz. 12

Auch in Freiheitsentziehungsverfahren nach den jeweiligen Landesgesetzen ist § 415 FamFG im Falle einer ausdrücklichen landesrechtlichen Verweisung auf §§ 415 ff. FamFG anzuwenden.[9] Ein entsprechender Verweis ist in den Polizeigesetzen der Länder auch regelmäßig enthalten.[10] Unschädlich ist, wenn landesrechtliche Vorschriften wegen fehlender Anpassung an das FGG-RG noch auf das FEVG verweisen.[11] Insofern bundesrechtlich abweichende und speziellere Vorschriften gegeben sind, die eine Freiheitsentziehung regeln, handelt es sich begrifflich nicht mehr um eine Freiheitsentziehungssache nach § 415 FamFG.

 

Rz. 13

Abweichende bundesrechtliche Regelungen sind bspw. folgende:

§ 312 FamFG (Unterbringungssachen),
§ 151 Nr. 6 FamFG (Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen und freiheitsentziehender Maßnahmen nach § 1631b BGB),
§ 151 Nr. 7 FamFG (Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker),
§ 51 StPO (zwangsweise Vorführung),
§ 81 StPO (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erstellung eines Gutachtens),
§§ 112, 112a StPO (Untersuchungshaft),
§§ 126a, 127b StPO (Vorläufige Festnahme),
§§ 453c, 456a, 457 StPO (Strafvollstreckung),
§ 79 SG (Vorführung und Zuführung eines Soldaten zu einer angeordneten Untersuchung) etc.
[9] Gerold/Schmidt/Mayer, ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge