Rz. 99

Zu beachten sind aber die unterschiedlichen Anrechnungen.[229] Während z.B. die nach VV 1008 (erhöhte) Verfahrensgebühr aus dem Mahnverfahren (VV 3305) stets insgesamt auf die (erhöhte) Verfahrensgebühr des Rechtsstreits angerechnet wird (Anm. VV 3305, 3307), gilt nach Vorb. 3 Abs. 4 eine Obergrenze für die Anrechnung der Geschäftsgebühr von 0,75 in allen Fällen und also auch dann, wenn diese Gebühr erhöht ist.[230] Die Anrechnungsregelung z.B. in VV Vorb. 3 Abs. 4 unterscheidet nämlich nicht zwischen der Vertretung eines oder mehrerer Auftraggeber. Nach VV 1008 entsteht keine besondere "Erhöhungsgebühr", sondern ein einheitliche erhöhte Geschäftsgebühr, die der Anrechnung zugrunde zu legen ist (vgl. Rdn 3 f.).[231] Weil eine einheitliche erhöhte Geschäftsgebühr entsteht, ist diese einheitliche Gebühr zur Hälfte, höchstens aber mit 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Damit verdient der Anwalt die Erhöhung jenseits einer 1,5-Geschäftsgebühr doppelt.[232]

 

Rz. 100

Allein diese Berechnung entspricht dem gesetzgeberischen Willen. Der Gesetzgeber weist in den Motiven[233] zu dem am 1.8.2013 in Kraft getretenen 2. KostRMoG zu VV 1008 ausdrücklich darauf hin, dass sich mangels einer ausdrücklichen Regelung die Streitfrage geklärt haben dürfte, dass sich die Höchstgrenze für die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach VV Vorb. 3 Abs. 4 bei mehreren Auftraggebern nicht erhöht. Sinn der Höchstgrenze sei es, ein Mehr an Umfang und Schwierigkeit der außergerichtlichen Tätigkeit auch nach einer Anrechnung angemessen zu entgelten. Erhöhe man die Anrechnungsgrenze auch bei mehreren Auftraggebern, würde dem Anwalt durch die Anrechnung gerade die für die Mehrarbeit zusätzlich angefallene Gebühr wieder entzogen.

 

Rz. 101

Diese Grundsätze gelten auch bei anderen Anrechnungen, z.B. der Anrechnung der im selbstständigen Beweisverfahren angefallenen Verfahrensgebühr auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits nach VV Vorb. 3 Abs. 5.[234]

 

Beispiel:

Rechtsanwalt R vertritt außergerichtlich 3 Auftraggeber wegen einer Forderung über 5.000 EUR. Die anwaltliche Tätigkeit rechtfertigt die 1,3 Regelgebühr nach VV 2301. Da der Gegner nicht zahlt, reicht R auftragsgemäß Klage für die 3 Auftraggeber ein.

a) Außergerichtliche Vertretung

 
1,9 Geschäftsgebühr VV 2300, 1008, Wert 5.000 EUR (1,3 Geschäftsgebühr zzgl. 0,6 Erhöhung) 634,60 EUR

b) Gerichtliche Vertretung

 
1,9 Verfahrensgebühr VV 3100, 1008, Wert 5.000 EUR (1,3 Verfahrensgebühr zzgl. 0,6 Erhöhung) 634,60 EUR
Auf die Verfahrensgebühr i.H.v. 634,60 EUR ist gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 die Hälfte der Geschäftsgebühr (0,95),  
höchstens aber 0,75 mit anzurechnen – 250,50 EUR
Nach Anrechnung verbleiben von der Verfahrensgebühr 384,10 EUR
 

Rz. 102

An dieser Berechnung wird teilweise kritisiert, dass dann die Erhöhung nach VV 1008 bei der Anrechnung nicht berücksichtigt wird bzw. anrechnungsfrei verbleibt. Dies stelle einen vom Gesetzgeber nicht gewollten Anreiz für das Betreiben eines gerichtlichen Verfahrens dar, so dass daher auch die Erhöhung VV 1008 analog VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 zur Hälfte anzurechnen sei.[235] Die Befürworter dieser Auffassung erhöhen daher die Anrechnungsgrenze nach VV Vorb. 3 Abs. 4 für jeden weiteren Auftraggeber um 0,15 (die Hälfte von 0,3). Im Beispiel (siehe Rdn 101) würde deshalb die Geschäftsgebühr i.H.v. 0,95 (je die Hälfte der 1,3 Geschäftsgebühr VV 2300 und der 0,6 Gebührenerhöhung VV 1008) auf die Verfahrensgebühr angerechnet.

 

Rz. 103

Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dass die Gebührenerhöhung der Geschäftsgebühr überhaupt nicht anzurechnen ist. VV 1008 wird von dieser abzulehnenden Auffassung (vgl. Rdn 3 f. und 104) als eigener Gebührentatbestand (Erhöhungsgebühr) angesehen, der in VV Vorb. 3 Abs. 4 S. 1 nicht erwähnt und deshalb von der Anrechnungsvorschrift nicht erfasst wird.[236] Nach dieser Auffassung würde im Beispiel (siehe Rdn 101) von der Geschäftsgebühr lediglich ein Satz i.H.v. 0,65 (die Hälfte von 1,3) angerechnet.

Für beide Auffassungen finden sich im Gesetz keine Rechtfertigungen.

[229] Zur Anrechnungstechnik siehe BGH 11.7.2007 – VIII ZR 310/06, NJW 2007, 3500.
[230] KG AGS 2009, 4 = RVGreport 2008, 391 = JurBüro 2008, 585; LG Saarbrücken AGS 2009, 315; LG Ulm AGS 2008, 163 = AnwBl 2008, 73; LG Düsseldorf AGS 2007, 381; so wohl auch OLG Stuttgart ZMR 2008, 907.
[231] KG AGS 2009, 4 = RVGreport 2008, 391 = JurBüro 2008, 585; LG Düsseldorf AGS 2007, 381; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, VV 1008 Rn 282 ff.
[232] So zutr. LG Ulm AGS 2008, 163 = AnwBl 2008, 73.
[233] BT-Drucks 17/11471 (neu), S. 272.
[234] OLG Stuttgart AGS 2010, 121; OLG Stuttgart ZMR 2008, 907.
[235] Vgl. Schneider/Mock, Das neue Gebührenrecht für Anwälte, § 14 Rn 60; Hergenröder, AGS 2007, 53 und RVGreport 2004, 362.
[236] Vgl. Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., VV Vorb. 3 Rn 87; Mock, RVG-Berater 2004, 87.

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