Rz. 250

Weder Abs. 4 noch VV 1008 enthalten eine Regelung für die Anrechnung bei mehreren Auftraggebern. Insofern müsste es in Ermangelung einer anderen Regelung auch dann bei einer Anrechnung von maximal 0,75 bleiben, wenn sich die Gebühren des Rechtsanwalts erhöhen, weil er mehrere Auftraggeber hat.[284] Dies hätte zur Folge, dass die Gebührenerhöhung für mehrere Auftraggeber in bestimmten Konstellationen im Gerichtlichen völlig anrechnungsfrei bliebe – bis zu einer Erhöhung von 2,0 bei zehn Auftraggebern. Infolgedessen ist die Anrechnung einer wegen der Vertretung mehrerer Auftraggeber nach VV 1008 erhöhten Geschäftsgebühr umstritten. Dazu Folgendes:

 

Beispiel: Anwalt R vertritt die Auftraggeber A, B und C hinsichtlich eines Räumungsanspruchs (Wert: 20.000 EUR) zunächst außergerichtlich. Es handelt sich um eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit. Als der Mieter dem Räumungsverlangen nicht nachkommt, erhebt R auftragsgemäß Klage, der nach mündlicher Verhandlung stattgegeben wird. Für die außergerichtliche Tätigkeit kann R folgende Vergütung verlangen:

 
1.

1,9-Geschäftsgebühr, VV 2300, 1008

(1,3-Geschäftsgebühr, die für zwei weitere Auftraggeber um insgesamt 0,6 erhöht wird)
  1.561,80 EUR
2. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.581,80 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   300,54 EUR
Gesamt   1.882,34 EUR

Bei der Frage der Anrechnung der erhöhten Geschäftsgebühr nach Abs. 4 auf die Verfahrensgebühr nach VV 3100 werden nun drei verschiedene Meinungen vertreten.

 

Rz. 251

Nach der ersten Meinung wird die Gebührenerhöhung nach VV 1008 überhaupt nicht von der Anrechnung umfasst, sondern bleibt vollständig anrechnungsfrei. Begründet wurde dies damit, dass der Wortlaut von Abs. 4 nur auf eine "nach den Nummern 2300 bis 2303" entstandene Geschäftsgebühr abstelle, wogegen die Regelung in VV 1008 nicht aufgeführt sei.[285] Auch habe der Gesetzgeber nicht – wie beispielsweise in der Anm. zu VV 3308 – eine ausdrückliche Regelung für den Fall der Gebührenerhöhung vorgenommen.[286] Da der Erhöhungsbetrag nach VV 1008 völlig anrechnungsfrei bleiben muss, berechnet sich der Anrechnungsbetrag nach dieser Meinung lediglich aus der nicht erhöhten Geschäftsgebühr. Da diese 1,3 beträgt, wird ein Gebührensatz von 0,65 angerechnet. Nach dieser Meinung würde R im Ausgangsbeispiel also folgende Vergütung für seine Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erhalten:

 
 
1.

1,9-Geschäftsgebühr, VV 2300, 1008

(1,3-Geschäftsgebühr, die für zwei weitere Auftraggeber um insgesamt 0,6 erhöht wird)
  1.561,80 EUR
2. abzgl. 0,65-Geschäftsgebühr, VV Vorb. 3 Abs. 4   – 434,30 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   986,40 EUR
4. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 2.313,90 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   439,64 EUR
Gesamt   2.753,54 EUR

Nach der zweiten Meinung bezieht sich die Anrechnung zwar auch auf den Erhöhungsbetrag nach VV 1008. Insgesamt ist sie jedoch auch bei mehreren Auftraggebern auf den gesetzlich vorgesehenen Höchstsatz von 0,75 beschränkt.[287] Der Anrechnung unterliegt also im Ausgangsfall die erhöhte Geschäftsgebühr von 1,9. Es wird jedoch nicht die Hälfte dieser Gebühr (0,95) angerechnet, weil insoweit die Höchstgrenze der Abs. 4 von 0,75 eingreift. Nach dieser Meinung würde R folgende Vergütung für seine Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erhalten:

 
 
1.

1,9-Geschäftsgebühr, VV 2300, 1008

(1,3-Geschäftsgebühr, die für zwei weitere Auftraggeber um insgesamt 0,6 erhöht wird)
  1.561,80 EUR
2. abzgl. 0,75-Geschäftsgebühr, VV Vorb. 3 Abs. 4   – 616,50 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   986,40 EUR
4. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.951,70 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   370,82 EUR
Gesamt   2.322,52 EUR

Nach einer dritten Meinung schließlich gilt die Höchstgrenze von 0,75 bei Anrechnung einer Geschäftsgebühr für mehrere Auftraggeber nicht. Vielmehr ist auch der Erhöhungsbetrag entsprechend Abs. 4 zur Hälfte – also für jeden weiteren Auftraggeber mit einem Satz von 0,15 – anzurechnen.[288] Der Anrechnung unterliegt damit im Ausgangsbeispiel zunächst die nicht erhöhte Geschäftsgebühr (1,3), woraus sich ein Anrechnungsbetrag von 0,65 ergibt. Dieser wird für jeden weiteren Auftraggeber um 0,15 – also insgesamt um 0,3 – auf 0,95 erhöht. Nach dieser Meinung würde R also folgende Vergütung für seine Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erhalten:

 
 
1.

1,9-Geschäftsgebühr, VV 2300, 1008

(1,3-Geschäftsgebühr, die für zwei weitere Auftraggeber um insgesamt 0,6 erhöht wird)
  1.561,80 EUR
2. abzgl. 0,95-Geschäftsgebühr, VV Vorb. 3 Abs. 4   – 780,90 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   986,40 EUR
4. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.787,30 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   339,59 EUR
Gesamt   2.126,89 EUR

Die erste Meinung überzeugt nicht. Die Folgerung, dass der Erhöhungsbetrag nach VV 1008 völlig anrechnungsfrei bleibt, kann nicht aus dem Wortlaut von Abs. 4 hergeleitet werden. Zwar ist dort im Zusammenhang mit der Anrechnung die Regelung in VV 1008...

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