Rz. 1

Unter der Abschnittsüberschrift "Außergerichtliche Beratung und Vertretung" drängt Abs. 1 S. 1 den Anwalt seit dem 1.7.2006 für den gesamten Bereich der außergerichtlichen Beratung, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens sowie für die Mediation, eine Gebührenvereinbarung abzuschließen. Unterbleibt sie, richtet sich die Vergütung nun für alle drei Anwendungsfälle des Abs. 1 S. 1 nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (Abs. 1 S. 2). Ist der Auftraggeber Verbraucher (siehe Rdn 110 ff.), limitiert Abs. 1 S. 3 die Gebühr für die Beratung und die gutachtliche Tätigkeit auf einen Betrag von jeweils 250 EUR; für ein erstes Beratungsgespräch mit einem Verbraucher ist die Vergütung bereits bei 190 EUR gekappt. Nach Abs. 2 wird die Beratungsgebühr auf die Gebühr für eine sonstige Tätigkeit des Anwalts angerechnet, die mit der Beratung zusammenhängt.

 

Rz. 2

Im Zuge der Neufassung des § 34 sind zum 1.7.2006 die bis dahin in Teil 2 Abschnitt 1 des VV enthaltenen Vorschriften zu außergerichtlicher Beratung und Begutachtung (VV 2100 bis 2103 a.F.) mit Ausnahme der in Abs. 1 überführten Vorschrift zur Erstberatungsgebühr (VV 2102 a.F.) sowie den Vorschriften zur Beratungshilfe (VV 2600 bis 2608 a.F.) aufgehoben worden. Für diese Tätigkeiten existieren keine staatlichen Tarife mehr. Vielmehr hat sich der Bundestag insoweit bereits in der 15. Legislaturperiode[1] für eine weitgehende Deregulierung entschieden. Ihr lagen die Motive zugrunde, dass

vom Gesetzgeber nicht mehr geregelt werden solle, als im Hinblick auf die Prozesskostenerstattung und zur Sicherstellung einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege erforderlich sei,
für den Auftraggeber, namentlich den Verbraucher, ein höheres Maß an Kostentransparenz erreicht werden müsse,
der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung gerichtliche Streitigkeiten über die Höhe der angemessenen Gebühr verhindern wird und so justizentlastend wirkt,
im außergerichtlichen Bereich Vergütungsvereinbarungen ohnehin zunehmen.
 

Rz. 3

Mit dem KostRÄG 2021 ist durch die Neufassung der VV Vorb. 1 klargestellt worden, dass auch Teil 1 des VV im Rahmen der Beratung gilt. Das ergab sich eigentlich bereits aus dem Gesetz, da in VV 1005 für die sozialrechtlichen Betragsrahmengebühren auf die Beratung Bezug genommen wurde. Es entsprach auch der h.M.,[2] dass die Einigungsgebühr auch im Zusammenhang mit einer Beratung anfallen konnte.

 

Rz. 4

Insgesamt ist die Deregulierung des Vergütungsrechts als Appell an den Anwalt zu verstehen, der dazu führen soll, dass Gebührenvereinbarungen in diesem Bereich zur Regel werden. Zugleich soll § 34 dem Anwalt den Einstieg in ein mit der Mandantschaft zu führendes Vergütungsgespräch erleichtern.[3] Diesen Paradigmenwechsel hatte die Anwaltschaft jedenfalls in 2006 noch nicht vollzogen. Nur 32 % der Rechtsanwälte war das Vergütungsgespräch mit dem Mandanten nicht unangenehm, bei den Rechtsanwältinnen war die Quote noch geringer.[4] Die Anwaltschaft wurde und bleibt aufgerufen, ihre traditionellen Ressentiments gegen Preisvereinbarungen aufzugeben; der Anwalt muss nun als "als Verkäufer in eigener Sache" auftreten.[5]

 

Rz. 5

Die mit § 34 erfolgte Freigabe der Gebühren bezieht sich nur auf den Bereich der Beratung; für das gesamte Tätigkeitsfeld der außergerichtlichen Vertretung sind dagegen gesetzliche Gebühren existent.[6] Dies gilt insbesondere für die Geschäftsgebühr (VV 2300 ff.) und die Beratungshilfegebühr (VV 2500 ff.).

 

Rz. 6

Nach Abs. 1 S. 1 "soll" der Rechtsanwalt neben der Mediation nun auch im beratenden und begutachtenden Bereich auf eine Gebührenvereinbarung "hinwirken". Die Brisanz dieses scheinbar so harmlosen Ratschlags ergibt sich erst durch eine Zusammenschau mit Abs. 1 S. 3. Unterlässt der Anwalt gegenüber einem Verbraucher den Abschluss einer Gebührenvereinbarung, ist seine nach bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen zu bemessende Vergütung bei 250 EUR gekappt – ganz unabhängig davon, wie zeitaufwändig oder anspruchsvoll die Beratung oder Begutachtung war. Mit dieser niedrigen Kappungsgrenze, die nur 60 EUR über der Höchstgebühr für die Erstberatung liegt, übt der Reformgesetzgeber im Bereich der Beratung einen betriebswirtschaftlichen Zwang zum Abschluss einer Gebührenvereinbarung aus.[7] Es entspricht der Intention des Gesetzgebers, die Gebührenvereinbarung in der anwaltlichen Praxis künftig als Normalfall der Vergütung für Beratungsleistungen zu etablieren (siehe Rdn 4). Um der Gefahr einer defizitären Mandatsbearbeitung zu entgehen, ist dem beratenden oder begutachtenden Rechtsanwalt daher dringend der Abschluss einer Gebührenvereinbarung zu empfehlen.

[1] Siehe die Begründung zu Art. 5 KostRModG in BT-Drucks 15/1971, S. 147 und 238.
[2] BGH 20.11.2008 – IX ZR 186/07, AGS 2009, 109; überzeugend auch die Ausführungen des AG Neumünster AGS 2011, 475 = zfs 2011, 406.
[3] BT-Drucks 15/1971, 147; skeptisch Baschek, KammerReport Hamm 5/2005, 11, 12.
[4] Hommerich/Kilian, Vergütungsvereinbarungen deutscher Rechtsanwälte, 2006, S. 1...

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