aa) Problemaufriss

 

Rz. 132

Die Reichweite des bisherigen § 87 S. 2 BRAGO war im Einzelnen umstritten. Dieser Streit setzt sich in Nr. 10, 1. Hs. fort. Häufig wird hier die Frage nach dem Entstehen der Gebühren im Rechtsmittelverfahren mit ihrer Erstattungsfähigkeit gleichgesetzt oder verwechselt, was zu einer äußerst unübersichtlichen und kaum noch zu überschauenden Rechtsprechung geführt hat.

bb) Eigenes Rechtsmittel

 

Rz. 133

Einigkeit besteht nur insoweit, als die Einlegung des eigenen Rechtsmittels durch die Gebühren des vorangegangenen Rechtszugs abgegolten wird. Konsequenterweise zählt dann auch die Beratung über die Möglichkeit und die Zweckmäßigkeit eines eventuellen – also noch nicht eingelegten – Rechtsmittels ebenfalls zum vorangegangen Verfahren und wird durch die dortigen Gebühren abgegolten. Wie sich aus Nr. 10, 1. Hs. ergibt, dauert das erstinstanzliche Verfahren insoweit nämlich bis zur Einlegung eines Rechtsmittels an und erfasst daher alle bis dahin anfallenden anwaltlichen Tätigkeiten.[121]

 

Rz. 134

Ist das Rechtsmittel jedoch bereits eingelegt und lässt sich der Mandant erst dann über dessen Aussichten beraten, so zählt diese Tätigkeit entweder bereits zum Rechtsmittelverfahren, wenn insoweit bereits Vertretungsauftrag besteht, oder die Prüfung ist als selbstständige Angelegenheit nach VV 2102, 2103 (bei Wertgebühren nach VV 2100, 2101) zu vergüten. Anderer Ansicht ist offenbar Hansens,[122] der die Beratung über Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit des Rechtsmittels stets noch dem erstinstanzlichen Verfahren zuordnen will. Dies dürfte jedoch unzutreffend sein. Spätestens die Einlegung des Rechtsmittels bildet die zeitliche Zäsur zwischen Ausgangs- und Rechtsmittelverfahren. Jede Tätigkeit nach Einlegung des Rechtsmittels wird daher durch die Gebühren der VV 4124, 4130, VV 5113, VV 6207, 6211 oder der VV 2100 ff. abgegolten. Dazu zählen insbesondere:

die Beratung des Mandanten über das bereits eingelegte Rechtsmittel,
die Überprüfung des Urteils der Vorinstanz,[123]
die Berufungs- oder Revisionsbegründung oder Begründung der Rechtsbeschwerde oder Nichtzulassungsbeschwerde,
die Berufungs- oder Revisionsgegenerklärung oder die Gegenerklärung zur Rechtsbeschwerde oder Nichtzulassungsbeschwerde,
die Erklärung, ob ein unbestimmt eingelegtes Rechtsmittels als Berufung oder Revision gelten soll,
die Rücknahme des Rechtsmittels,[124]
die Einsichtnahme in die Strafakten zur Vorbereitung der Hauptverhandlung.[125]

Letztlich darf diese Streitfrage jedoch nicht überbewertet werden. Soweit die Beratung über die Aussichten des Rechtsmittels noch zum Ausgangsverfahren gezählt wird, muss diese Mehrarbeit konsequenterweise dort im Rahmen des § 14 Abs. 1 gebührenerhöhend berücksichtigt werden.

[121] LG Flensburg JurBüro 1984, 890.
[122] Hansens, § 87 Rn 5.
[123] OLG Zweibrücken JurBüro 1981, 1531.
[124] OLG Oldenburg NJW 1964, 2124; a.A. OLG Zweibrücken JurBüro 1981, 1531.
[125] LG Wuppertal DAR 1985, 94.

cc) Gegnerisches Rechtsmittel

 

Rz. 135

Auch hinsichtlich der Beratung über das Rechtsmittel eines anderen Beteiligten (Staatsanwaltschaft, Neben- oder Privatkläger) ist die gebührenrechtliche Behandlung umstritten.

 

Rz. 136

Ist das Rechtsmittel der Gegenseite noch nicht eingelegt, soll der Anwalt also nur vorbereitend prophylaktisch beraten, welche Rechtsmittel in Betracht kommen und welche Konsequenzen dies hat, so zählt diese Tätigkeit wohl noch zur Ausgangsinstanz. Das Rechtsmittelverfahren beginnt für den in der Instanz beauftragten Verteidiger frühestens mit der Einlegung eines Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft, den Neben- oder Privatkläger.

 

Rz. 137

Soll der Anwalt dagegen vorbereitend prüfen, welche Erfolgsaussicht ein eventuelles gegnerisches Rechtsmittel hat, dann liegt wiederum ein gesonderter Auftrag nach VV 2102, 2103 (bei Wertgebühren nach VV 2100, 2101) vor, da auch die Beratung über ein Rechtsmittel des Gegners unter VV 2100 ff. fällt (siehe VV 2100 Rdn 16 und VV 2102 Rdn 1).

 

Rz. 138

Wird das Rechtsmittel von einem anderen Beteiligten, also aus Sicht des Verteidigers von der Staatsanwaltschaft, dem Neben- oder Privatkläger eingelegt, aus Sicht des Privat- oder Nebenklägers vom Angeklagten oder zu dessen Gunsten von der Staatsanwaltschaft, so ist wiederum umstritten, ob die Beratung über die Aussichten des gegnerischen Rechtsmittels nach Nr. 10, 1. Hs. durch die Gebühren des erstinstanzlichen Verfahrens abgegolten wird.

Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, die Beratung über die Erfolgsaussichten des gegnerischen Rechtmittels würde für den Verteidiger noch zum vorausgehenden Rechtszug zählen.[126] Diese Auffassung ist jedoch aus zwei Gründen abzulehnen: Die Vorschrift der Nr. 10, 1. Hs. ist eine Ausnahmevorschrift und als solche daher eng auszulegen. Sie gilt ausdrücklich nur, wenn der Mandant Rechtsmittelführer ist, nicht aber auch, wenn er Rechtsmittelgegner ist.[127] Abgesehen davon wird eine Beratung über das gegnerische Rechtsmittel in aller Regel erst dann erfolgen, wenn es eingelegt worden ist. Die Einlegung des Rechtsmittels wiederum bildet aber die ze...

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