Rz. 10

Im Gegensatz zur früheren Rechtslage nach der BRAGO muss sich die Prüfung nicht auf die Erfolgsaussicht einer

Berufung oder
Revision

beschränken. Anzuwenden ist VV 2100 auf sämtliche Rechtsmittel, also auch auf die Prüfung der Erfolgsaussicht einer

Beschwerde (insbesondere in den berufungsgleichen Beschwerdeverfahren nach dem FamFG – §§ 58 ff. FamFG),
Nichtzulassungsbeschwerde oder
Rechtsbeschwerde (insbesondere in den revisionsgleichen Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem FamFG – §§ 70 ff. FamFG).
 

Rz. 11

Strittig ist, ob die Prüfung der Erfolgsaussicht einer Verfassungsbeschwerde unter VV 2100 fällt.[8] Dafür spricht, dass die Verfassungsbeschwerde einem Rechtsmittel gleich kommt und zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen kann. So wird auch im Rahmen des § 21 die Verfassungsbeschwerde wie ein Rechtsmittel (siehe Vor §§ 20, 21 Rdn 48), was in der Tat dafür spricht, VV 2100 anzuwenden.

 

Rz. 12

Sofern man eine Prüfungstätigkeit nach VV 2100 ablehnt, müsste man von einer Beratungsgebühr nach § 34 ausgehen. In diesem Fall ist eine Gebührenvereinbarung dringend geboten, da die Beratung eines Verbrauchers – und um den wird es sich in der Regel handeln – mit 250 EUR keinesfalls angemessen vergütet sein kann.

 

Rz. 13

Auf bloße Rechtsbehelfe, wie

den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid oder gegen ein Versäumnisurteil,[9]
Erinnerungen,[10]
Gegenvorstellungen[11]
Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmeanträge,
Anträge auf Urteilsergänzung oder -berichtigung,
Nichtigkeits- und Restitutionsklagen,[12]
Anträge auf gerichtliche Entscheidung in Bußgeldsachen, soweit VV Vorb. 5 Abs. 4 greift,

ist diese Vorschrift dagegen nicht anzuwenden. Hier wird die Prüfung durch die jeweilige Verfahrensgebühr mit abgegolten, wenn der Rechtsbehelf keine eigene Angelegenheit darstellt. Stellt der Rechtsbehelf eine neue Angelegenheit dar, wie z.B. im Fall einer Erinnerung nach § 18 Abs. 1 Nr. 3, dann löst auch die Prüfung der Erfolgsaussicht auch hier eine weitere Vergütung aus, und zwar – sofern nichts anderes bestimmt ist – eine Beratungsgebühr nach § 34.

 

Rz. 14

Die Prüfung der Erfolgsaussicht einer Gehörsrüge fällt nicht unter VV 2100.

 

Rz. 15

Der Tatbestand der VV 2100 greift ebenfalls nicht bei der Beratung über einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Rechtsmittelverfahren, z.B.

die Aussicht einer Klageerweiterung,[13]
einer erstmaligen Hilfsaufrechnung oder
einer Streitverkündung.
 

Rz. 16

Aus dem Wortlaut der VV 2100 ergibt sich dagegen nicht, dass es sich um das eigene Rechtsmittel handeln muss.[14] Die Gebühr nach VV 2100 fällt also nicht nur dann an, wenn der Anwalt über die Aussicht eines Rechtsmittels berät, das der Mandant einlegen will, sondern auch dann, wenn der Anwalt über die Aussicht eines Rechtsmittels beraten soll, das die Gegenseite eingelegt hat oder einzulegen beabsichtigt.

 

Beispiel: Der Beklagte war auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.500 EUR verklagt worden und ist zur Zahlung von 1.000 EUR verurteilt worden. Er ist an sich entschlossen, gegen seine Verurteilung Berufung einzulegen. Er befürchtet allerdings, dass der Kläger, der selbst mangels erforderlicher Beschwer keine Berufung einlegen kann, dann eine unselbstständige Anschlussberufung einlegen wird. Er beauftragt den Anwalt daher, zu prüfen, ob eine solche Anschlussberufung Aussicht auf Erfolg hätte.

Der Anwalt erhält eine Prüfungsgebühr aus 500 EUR, die anzurechnen wäre, wenn der Beklagte Berufung und der Kläger sodann Anschlussberufung einlegen würde.

 

Rz. 17

Möglich ist auch die Beratung über Erfolgsaussicht von Rechtsmitteln Dritter, etwa wenn sich der Auftraggeber darüber beraten lassen will, ob und inwieweit ein eventuelles Rechtsmittel eines Nebenintervenienten o.Ä. Aussicht auf Erfolg haben könnte.

[8] So Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden, 2. Aufl. 2007 Rn 1082.
[9] Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2100 Rn 25.
[10] Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2100 Rn 25.
[11] Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2100 Rn 25.
[12] AG Augsburg 12.3.2019 – 25 C 1011/18, AGS 2020, 369; Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2100 Rn 25.
[13] OLG Hamm MDR 1996, 424.
[14] Mayer/Kroiß/Winkler, VV 2100 Rn 26 f.; anders noch bei § 20 Abs. 2 BRAGO: OLG München MDR 1980, 1027; Hartmann, § 20 BRAGO Rn 20, der seine Ansicht aber jetzt offenbar aufgegeben hat.

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