Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Neuwertspitze in der Gebäudeversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

In der Gebäudeversicherung kann die Neuwertspitze nur verlangt werden, wenn und soweit der Versicherungsnehmer mehr verbaut hat als den Wert des Hauses zum Zeitpunkt des Brandereignisses, den Zeitwert. Dabei muss die im Voraus berechnete Neuwertspitze nicht bis auf den letzten Cent verbaut werden. Erforderlich ist aber doch, dass der finanzielle Aufwand jedenfalls näherungsweise oder in groben Zügen der errechneten Neuwertentschädigung entspricht und dass ebenso näherungsweise der tatsächliche Aufwand für den Neubau dem vorangeschlagenen entspricht.

 

Normenkette

VGB 1988 § 15 Nr. 4

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 09.06.2010; Aktenzeichen IV ZA 15/09)

LG Flensburg (Urteil vom 26.05.2009; Aktenzeichen 8 O 40/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 20.07.2011; Aktenzeichen IV ZR 148/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des LG Flensburg vom 26.5.2009 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin unterhält bei dem Beklagten für ihr Haus in F eine Gebäudeversicherung, der die VGB 88 mit gleitender Neuwertklausel zugrunde liegen. Am 17.10.2003 wurde das Gebäude durch einen Brand zerstört. Im Sachverständigenverfahren ergaben sich ein unstreitiger Zeitwertschaden von 232.931,97 EUR, den der Beklagte auch sukzessive an die Klägerin zahlte, und ein Neuwertschaden von 360.295,03 EUR.

Die Klägerin baute das Gebäude wieder auf. Im Erdgeschoss wurde wie zuvor eine Gaststätte eingerichtet. Im Obergeschoss wurden statt der früheren drei Ein-Zimmer-Wohnungen auf nahezu gleicher Fläche zwei Zwei-Zimmer-Wohnungen errichtet. Die Klägerin erbrachte dabei nach ihrem Vorbringen wesentliche Bauleistungen selbst bzw. durch Angehörige und Nachbarn (Bl. 193). Der Sachverständige S des Beklagten ermittelte mit einer "Endabrechnung" vom 24.3.2006 (unnummerierte Anlage nach B 1, Bl. 134 - 173) teils unter Heranziehung von Kostenvoranschlägen, die die Klägerin eingeholt hatte, teils auf der Grundlage von Einheitspreisen, Baukosten von 161.816,67 EUR (Bl. 172 mit Titelzusammenstellung) sowie Aufräum- und Abbruchkosten von 17.097,11 EUR (Bl. 173), zusammen 178.913,78 EUR. Hierbei unterschritten insbesondere die Rohbauarbeiten, ursprünglich mit 191.574,61 EUR angesetzt (Bl. 106), mit nunmehr noch 54.133,43 EUR (Bl. 137) den anfänglichen Ansatz erheblich.

Dem nach Fertigstellung gestellten Verlangen der Klägerin auf Auszahlung der Neuwertspitze verweigerte sich der Beklagte mit dem Schreiben vom 26.11.2007 (Anlage K 6, Bl. 16) mit der Begründung, es müsse, wenn mehr als der Zeitwertschaden verbaut sein sollte, dies durch entsprechende Rechnungen nachgewiesen werden.

Die Klägerin hat Teile des Anspruchs auf Auszahlung der Neuwertspitze an die X-Bank AG in H, den Rechtsanwalt Z, sowie die Fa. Y GmbH & Co. KG abgetreten. Die Zessionare haben sich damit einverstanden erklärt, dass die Klägerin ihre Ansprüche gegen den Beklagten in gewillkürter Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend machen darf (Bl. 72 - 75). Die Klägerin hat behauptet, das Gebäude sei vollständig wieder aufgebaut worden (Bl. 201). Sie hat gemeint, es komme nicht darauf an, dass die Neuwertentschädigung auch tatsächlich auf Heller und Pfennig in den Wiederaufbau fließe oder geflossen sei (Bl. 52).

Der Beklagte hat gemeint, mit der Neuwertversicherung solle lediglich der etwaige Nachteil ausgeglichen werden, der dem Versicherungsnehmer dadurch entstehe, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden müsse, wenn er das abgebrannte Gebäude wieder aufbaue. Auf diesen tatsächlichen Nachteil sei der Umfang des Entschädigungsanspruches beschränkt. Angesichts der - erstinstanzlich unstreitig gebliebenen - geringeren Wiederherstellungskosten gemäß der "Endabrechnung" vom 24.3.2006 hat er behauptet, die tatsächliche Wiederherstellung sei nach Art, Qualität und Umfang hinter der des ursprünglichen Gebäudes zurück geblieben (Bl. 85). Durch die Zahlung der Neuwertspitze werde die Klägerin mithin ungerechtfertigt bereichert. Der Beklagte habe schon mehr geleistet als der eigentliche Schaden betrage (Bl. 86).

Das LG hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 128.183,08 EUR nebst Zinsen an die Zessionare und die Klägerin verurteilt. Es hat gemeint, das neu errichtete Ersatzgebäude sei nach Fläche und umbautem Raum sowie der beabsichtigten Nutzung mit dem brandgeschädigten Gebäude vergleichbar. Unerheblich sei, ob die Arbeiten tatsächlich vollständig gemäß dem Schadensgutachten ausgeführt worden seien. Zum einen sei die Neuwertspitze a...

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