Entscheidungsstichwort (Thema)

Beförderung von E-Scootern in Linienbussen kann nicht ohne Einschränkungen verlangt werden

 

Normenkette

EUV 181/2011 Art. 10; PBefG § 22; UKlaG § 4

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 12. August 2016 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Der Kläger ist eine Vereinigung von Menschen mit Körperbehinderungen und in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Die Beklagte ist ein Verkehrsunternehmen und führt den öffentlichen Personennahverkehr in Kiel durch. Sie erklärte in einer Pressekonferenz vom 16. Februar 2015, entgegen der früheren Praxis keine so genannten E-Scooter wegen deren Gefährdungspotentials mehr in ihren Bussen zu befördern. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Beförderungsverweigerung in Anspruch. In einem zunächst parallel durchgeführten Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung verpflichtete der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts die Beklagte durch Urteil vom 11. Dezember 2015, es zu unterlassen, ohne Differenzierung die Beförderung von E-Scootern in ihren Bussen auszuschließen. Seitdem gestattet die Beklagte in beschränktem Umfang und nach bestimmten Kriterien wieder die Mitnahme von E-Scootern. Wegen des Sachverhaltes und der im Hauptsacheverfahren in erster Instanz gestellten Anträge wird auf die Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 12. August 2016 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Auffassung vertreten, der Kläger habe im Ergebnis keinen Anspruch auf Unterlassung der Beförderungsverweigerung. Die Kammer hat zunächst die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bejaht, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handele. Maßgeblich dafür sei, dass die Beklagte eine juristische Person des Privatrechts und auch nicht durch Beleihung mit der Durchführung hoheitlicher Aufgaben beauftragt worden sei. Unerheblich sei dabei, ob eine öffentlich-rechtliche Körperschaft Alleingesellschafterin der juristischen Person des Privatrechts sei. Zur Zulässigkeit der Klage hat das Landgericht die Auffassung vertreten, die erforderliche Prozessführungsbefugnis des Klägers ergebe sich aus § 2 UKlaG i. V. m. § 22 PBefG, Art. 9 der VO (EU) Nr. 181/2011, soweit er Rechte von Personen mit Körperbehinderungen einklage. Soweit der Antrag allerdings auch Personen umfasse, die keinerlei körperlichen Einschränkungen unterliegen, fehle dem Kläger bereits die Prozessführungsbefugnis und nicht erst die Aktivlegitimation, so dass die Klage teilweise unzulässig sei.

Die im Übrigen zulässige Klage sei unbegründet. Grundsätzlich hätten Menschen mit Körperbehinderungen zwar gemäß § 22 PBefG, Art. 9 der VO (EU) Nr. 181/2011 einen Anspruch auf Beförderung im öffentlichen Busnahverkehr einschließlich der von ihnen genutzten E-Scooter. Der Anspruch gelte jedoch nicht unbeschränkt, sondern sei abzuwägen mit dem gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Recht aller Fahrgäste auf körperliche Unversehrtheit. Auch aus den gesetzlichen Vorschriften in § 22 PBefG, Art. 10 der VO (EU) Nr. 181/2011 ergebe sich, dass Beförderer sich aufgrund der Behinderung oder der eingeschränkten Mobilität einer Person weigern könnten, diese an Bord des Fahrzeugs zu nehmen, um geltenden Sicherheitsanforderungen nachzukommen. Das Landgericht hat anhand der außerhalb dieses Rechtsstreits (im Zusammenhang mit dem so genannten "Runden Tisch" in Nordrhein-Westfalen) eingeholten Gutachten und aufgrund eines von der Beklagten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Videos über einen Fahrversuch ausgeführt, dass durch Rutschen oder Kippen von E-Scootern Gefahren für die körperliche Integrität auch der anderen Fahrgäste drohten. Öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Befestigung von E-Scootern in Linienbussen seien bisher nicht vorhanden. Es sei Aufgabe des Staates, die Bürger vor Gefahren zu bewahren. Die Bushersteller und die Hersteller von E-Scootern hätten die Aufgabe, Sicherungssysteme für den Transport der Scooter zu entwickeln, die vor ihrer staatlichen Zulassung zum Beispiel durch den TÜV auf ihre Wirksamkeit zu prüfen seien. Der Gesetzgeber sei gefordert, entsprechende Regelungen einzuführen, um eine diskriminierungsfreie Beförderung von Menschen mit körperlichen Behinderungen einschließlich der von ihnen genutzten E-Scooter zu gewährleisten. Schließlich hat die Kammer einen Anspruch des Klägers aus § 19 AGG verneint, weil die genannten Bestimmungen des Personenbeförderungsrechts gegenüber dem AGG die spezielleren Vorschriften seien und zudem ein s...

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