Entscheidungsstichwort (Thema)

Heilung eines Verstoßes gegen den Grundsatz "ne ultra petitum". Anspruch des Betriebsrats aus § 101 BetrVG. Eingruppierung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Zielsetzung der Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG. Umgruppierung des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden als Konsequenz aus § 37 Abs. 4 BetrVG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verletzung des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann geheilt werden, wenn der antragstellende Beteiligte sich die angefochtene Entscheidung im zweiten Rechtszug durch den Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels zu eigen macht. Hat der Betriebsrat zweitinstanzlich vorbehaltlos die Zurückweisung der Beschwerde der Arbeitgeberin beantragt, macht er sich den Beschluss des Arbeitsgerichts zu eigen.

2. Der Anspruch des Betriebsrats aus § 101 BetrVG bei Ein- und Umgruppierungen geht dahin, dem Arbeitgeber die Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufzugeben.

3. Eine Eingruppierung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht in der – erstmaligen oder erneuten – Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe der im Betrieb geltenden Vergütungsordnung nach Maßgabe der dafür gültigen Kriterien.

4. Die Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG dient der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der Vergütungsordnung in gleichen und vergleichbaren Fällen und damit der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit sowie Transparenz der betrieblichen Vergütungspraxis.

5. Hat der Arbeitgeber gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG festgestellt, dass der vollständig von der Arbeitsleistung freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats bei einer betriebsüblichen Entwicklung in die Position des Werkstattleiters aufgestiegen wäre, und ändert er nach der einschlägigen Vergütungsordnung deshalb die Vergütungsgruppe, handelt es sich bei dieser Rechtsanwendung um eine Umgruppierung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 4 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 37 Abs. 2, § 78 S. 2, § 101; ZPO § 308 Abs. 1; BGB § 611a Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 26.11.2021; Aktenzeichen 3 BV 17/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 26.11.2021 – 3 BV 17/21 – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Zustimmung des Antragstellers/Beteiligten zu 1. zur Umgruppierung des Arbeitnehmers … in die Vergütungsgruppe VIII des Vergütungstarifvertrages für die Beschäftigten der Mitgliedsbetriebe der Tarifgemeinschaft Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe in Sachsen einzuholen.

Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 2. zugelassen und für den Antragsteller/Beteiligten zu 1. nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG.

Die Beteiligte zu 2. (im Folgenden = Arbeitgeberin) betreibt mit regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern zwei Autohäuser in Leipzig. Sie ist kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge für das Kfz-Gewerbe in Sachsen gebunden. Der Antragsteller/Beteiligte zu 1. (im Folgenden = Betriebsrat) ist der für den Betrieb der Arbeitgeberin gewählte siebenköpfige Betriebsrat, dessen Vorsitzender, der Arbeitnehmer …, von seiner beruflichen Tätigkeit vollständig freigestellt ist.

In der Folge eines Streits über seine zutreffende Eingruppierung wurde Herrn … mit Schreiben vom 09.12.2020 (Anlage A 1 zur Antragsschrift vom 23.06.2021; Bl. 4/5 d. A. 1. Instanz) u.a. Folgendes mitgeteilt:

Ergebnis der Überprüfung Ihrer Eingruppierung

Sehr geehrter Herr …,

wie wir Ihnen bereits mitgeteilt haben, hat die… GmbH unter zur Hilfenahme einer externen Anwaltskanzlei Ihre Eingruppierung als vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied überprüft.

Hierbei sind wir zu dem Ergebnis gelangt, dass Ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden muss, das … Führungskräftepotenzial Assessment Center abzulegen, für welches sie im November 2019 bereits angemeldet waren. Dadurch geben wir Ihnen die Möglichkeit, die Voraussetzung für die Übernahme der Position des Werkstattleiters herzustellen.

Sobald uns die Mitteilung über eine erfolgreiche Teilnahme an dem Assessment Center vorliegt, sind alle Voraussetzungen zur hypothetischen Übernahme der Position des Werkstattleiters nach § 78 S. 2 BetrVG erfüllt. Da die Abmeldung von dem Assessment Center im November 2019 der Sphäre des Unternehmens entspringt, werden wir Sie – um eine Benachteiligung wegen Ihres Betriebsratsamtes auszuschließen – nach Bestehen des Assessment Centers so behandeln, als hätten die Voraussetzungen zur Übernahme der Werkstattleiterposition schon im November 2019 vorgelegen. Das bedeutet, nach Bestehen des Assessment Centers werden Sie so behandelt, als hätten Sie die Position des Werkstat...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge