Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt nach § 176 Abs. 1 GVG dem Vorsitzenden.
2. Inhaber der Sitzungspolizei ist ausschließlich der Vorsitzende.
3. Zeitlich erfasst die Sitzungspolizei auf jeden Fall Maßnahmen in der eigentlichen Sitzung, also während der gesamten Dauer der HV.
4. Räumlich erstreckt sich die Sitzungspolizei auf den Sitzungssaal mit den ihm vorgelagerten ­Räumen.
5. Inhaltlich umfasst die Sitzungspolizei des Vorsitzenden alle Maßnahmen, die einen störungsfreien Sitzungsverlauf sicherstellen.
6. In § 176 Abs. 2 GVG ist durch das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019" ein Verbot der Gesichtsverhüllung als besonderer Inhalt der Sitzungspolizei aufgenommen worden.
7. In personeller Hinsicht unterliegen der Sitzungspolizei des Vorsitzenden grds. alle Personen im räumlichen und zeitlichen Umfang der HV.
8. Voraussetzung für die Verhängung eines Ordnungsmittels als eine sitzungspolizeiliche Maßnahme ist das Vorliegen von "Ungebühr" i.S.d. § 178 GVG.
9. Die Sitzungspolizei erstreckt sich grds. auch auf Rechtsanwälte. Ob ein Verteidiger, der die HV stört, gem. § 177 GVG aus dem Sitzungssaal entfernt oder gegen ihn ein Ordnungsmittel nach § 178 GVG ergriffen werden kann, ist/war in Rspr. und Lit. umstritten.
10. Die Rechtsmittel gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen sind beschränkt.
 

Rdn 2940

 

Literaturhinweise:

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s.a. die Hinw. bei → Verhandlungsleitung, Teil V Rdn 3407, und bei → Verteidiger, Verteidigerhandeln und Strafrecht, Teil V Rdn 3799.

 

Rdn 2941

1.a) Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt nach § 176 Abs. 1 u. 2 GVG dem Vorsitzenden. Gemeint ist damit lediglich die äußere Ordnung, also die Schaffung und Sicherung des äußerlichen Ablaufs der HV. Zu unterscheiden von der Sitzungspolizei ist die → Verhandlungsleitung, Teil V Rdn 3407, nach § 238. Abzugrenzen ist die Sitzungspolizei außerdem vom Hausrecht, das grds. der Gerichtsverwaltung/dem Gerichtspräsidenten zusteht (BVerwG NJW 2011, 2530; OLG Bremen StV 2016, 549 für Untersagung von Bild- und Tonaufnahmen im gesamten Gerichtsgebäude). Dieses Hausrecht wird allerdings durch das Recht und die Pflicht, die ...

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