Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschränkungen der Presseberichterstattung in Strafverfahren durch sitzungspolizeiliche Anordnungen. Strafprozessrecht. sitzungspolizeiliche Anordnungen. Presseberichterstattung. Pressefreiheit. Film- und Fotoaufnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beschränkungen der Presseberichterstattung in Strafverfahren durch sitzungspolizeiliche Anordnungen gem. § 176 GVG können mit der Beschwerde gem. § 304 StPO angefochten werden, wenn ihnen eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt.

2. Mit einer Anordnung gem. § 176 GVG kann untersagt werden, dass im Gerichtssaal von Zeugen Bilder ohne deren vorherige und ausdrückliche Zustimmung gefertigt werden. § 176 GVG ermächtigt auch dazu, die Verpixelung von Film- und Fotoaufnahmen der Angeklagten anzuordnen

3. Beschränkungen der Presseberichterstattung, die Bild- und Tonaufnahmen im Bereich vor dem Sitzungssaal ausschließen, sind ermessenfehlerhaft, wenn sie allein den Zweck verfolgen, die Persönlichkeitsrechte von Angeklagten aus anderen Verfahren und die Wirksamkeit von in anderen Verfahren getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu wahren. Die Wahrung dieser Schutzzwecke obliegt allein dem jeweiligen Vorsitzenden in den betroffenen Verfahren bzw. dem Hausrechtsinhaber.

4. Die Untersagung von Bild- und Filmaufnahmen im gesamten Gebäude des Landgerichts beruht auf dem Hausrecht der Landgerichtspräsidentin und kann nicht mit der Beschwerde nach § 304 StPO angegriffen werden.

 

Normenkette

GG Art. 5 Abs. 1-2; StPO §§ 137, 148 Abs. 1, § 304; GVG §§ 176, 181 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 32 KLs 770 Js 17111/13)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 04.03.2016 gegen die in der Pressemitteilung des Landgerichts Bremen Nr. 11/2016 vom 29.02.2016 mitgeteilte Untersagung der Präsidentin des Landgerichts wird als unzulässig verworfen.

2. Die Anordnung zu Ziffer 1 der Verfügung der Vorsitzenden der Großen Strafkammer 32 vom 29.02.2016 wird aufgehoben.

3. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ziffer 3, 4 und 5 der Verfügung der Vorsitzenden der Großen Strafkammer 32 vom 29.02.2016 wendet, wird die Beschwerde zurückgewiesen. Klarstellend wird festgestellt, dass sich die Anordnungen in den Ziffern 3, 4 und 5 nur auf den räumlichen Bereich des Sitzungssaales beziehen.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

 

Gründe

I.

Vor der großen Wirtschaftsstrafkammer 32 des Landgerichts Bremen findet seit dem 20.01.2016 das Strafverfahren gegen Verantwortliche der Unternehmensgruppe X statt. Dem Unternehmensgründer und ehemaligen Geschäftsführer, dem Angeklagten A, werden Betrug und Untreue in besonders schweren Fällen sowie Kreditbetrug und Bilanzfälschung, den Mitangeklagten Betrug, Kreditbetrug und Untreue vorgeworfen. Der Schaden soll in zweistelliger Millionenhöhe liegen. Die Strafkammer hat für das Verfahren 55 Hauptverhandlungstage angesetzt, den letzten Ende Oktober 2016. Das Verfahren hat regional wie auch überregional mediale Aufmerksamkeit gefunden. In der Berichterstattung werden u.a. der schnelle Aufstieg eines kleinen Unternehmens zur weltweit führenden Reederei für Schwerguttransporte und der Niedergang des Unternehmens thematisiert. Hierbei steht vor allem die Person des ehemaligen Geschäftsführers und bis 2010 alleinigen Gesellschafters A im Mittelpunkt der Berichterstattung. Darüber hinaus wird in den Medien die Rolle der kreditgebenden Banken und des Finanzinvestors, der 2010 in das Unternehmen einstieg, thematisiert.

Die Beschwerdeführerin ist die öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalt im Bundesland Bremen. Die Beschwerdeführerin hat eine Akkreditierung für das streitgegenständliche Verfahren erlangt.

Aufgrund der Pressemitteilung Nr. 11/2016 vom 29.02.2016 erhielt die Beschwerdeführerin Kenntnis von der sitzungspolizeilichen Anordnung der Vorsitzenden vom 29.02.2016. Die in der Pressemitteilung im Wortlaut mitgeteilte entsprechende Verfügung der Vorsitzenden lautet auszugsweise wie folgt:

1. Bild- und Tonaufnahmen vor dem Sitzungssaal 231

Bild- und Tonaufnahmen im Bereich vor dem Sitzungssaal 231 sind nicht gestattet.

2.(...)

3. Bild- und Tonaufnahmen von Zeugen

Von Zeugen dürfen keine Bilder gefertigt werden, es sei denn, diese stimmen dem vor der Anfertigung von Lichtbildern ausdrücklich zu.

4. Bild- und Tonaufnahmen von Angeklagten

Die Bildnisse der Angeklagten B, D und C sind bei Veröffentlichung oder Verbreitung (auch durch Weitergabe an andere Presseunternehmen) so hinreichend zu verpixeln oder auf andere Weise unkenntlich zu machen, dass die Gesichtszüge und die Haare der Betroffenen nicht erkennbar sind. Dies gilt auch für gezeichnete Bildnisse. Eine Anonymisierung etwaiger vom Angeklagten A gefertigter Bildnisse ist nicht erforderlich.

5. Interview- und Statementwünsche dürfen jederzeit an die Angeklagten und ihre Verteidiger herangetragen werden. Währenddessen dürfen sie nicht abgelichtet bzw. gefilmt werden.

Zusätzlich findet sich in d...

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