Das Wichtigste in Kürze:

1. War der Verteidiger in der Tatsacheninstanz bereits Pflichtverteidiger nach § 140, erstreckt sich die Bestellung, wenn sie nicht beschränkt worden ist, auch auf das Revisionsverfahren, und zwar auch auf die Revisions-HV.
2. Hatte der Angeklagte in der Tatsacheninstanz noch keinen Pflichtverteidiger, stellt sich ggf. die Frage der Bestellung für das Revisionsverfahren. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln des § 140.
3. Nach § 143a kommt ggf. für die Revisionsinstanz ein Pflichtverteidigerwechsel in Betracht.
 

Rdn 2827

 

Literaturhinweise:

Balbier, Der Pflichtverteidiger in der Revisionsinstanz – Eine (kritische) Bestandsaufnahme. in: Festschrift für Egon Müller, 2008, S. 15

Hillenbrand, Das neue Recht der Pflichtverteidigung, ZAP F. 22, S. 983

ders., Das neue Recht der Pflichtverteidigung – Teil I, StRR 2/2020, 4

ders., Das neue Recht der Pflichtverteidigung – Teil II, StRR 3/2020, 4

Meyer-Goßner, Die Verteidigung vor dem Bundesgerichtshof und dem Instanzgericht, in: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des BGH, 2000, S. 615

Peglau, Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle – Anforderungen und Wiedereinsetzungsfragen, Rpfleger 2007, 633

s.a. die Hinw. bei → Revision, Allgemeines, Teil R Rdn 2661.

 

Rdn 2828

1.a) War der Verteidiger in der Tatsacheninstanz bereits Pflichtverteidiger nach § 140 (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3304 ff.), erstreckt sich die Bestellung, wenn sie nicht beschränkt worden ist, gem. dem durch das "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung" v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2128) neu gefassten § 143a auch auf das Revisionsverfahren (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 143 Rn 1; BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 68/20, NStZ 2021, 189).

 

Rdn 2829

b) Das gilt nach der Änderung des § 350 durch das "Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung" vom 17.12.2018 (BGBl. I S. 2571) auch für eine ggf. erforderliche Revisions-HV. Das war früher nicht der Fall (vgl. u.a. BGHSt 19, 258; 32, 326 f.; BGH NJW 1984, 2480; 2000, 3222; Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 68/20, NStZ 2021, 189; StV 2011, 645). Nach altem Recht musste für diese das Revisionsgericht den/einen Pflichtverteidiger neu bestellen, wozu es i.d.R. verpflichtet ist/war, wenn es sich um einen "schwerwiegenden Fall" handelt (§ 350 a.F.; BVerfG NJW 1978, 151; dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 350 Rn 7 und Teil R Rdn 2830 ff.). Das ist jetzt nur noch der Fall, wenn ein (Pflicht)Verteidiger, dem der Termin der HV gem. § 350 Abs. 1 mitgeteilt wurde, zur HV vor dem Revisionsgericht nicht erscheint, oder er vorab mitteilt, dass er nicht erscheinen werde. Dann ist i.d.R. ein anderer Pflichtverteidiger zu bestellen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Teilt der Wahlanwalt mit, dass er zur Revisions-HV nicht erscheinen wird, ist er zum Pflichtverteidiger für die Revisions-HV zu bestellen, um das Recht des Angeklagten auf Verteidigung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK zu wahren (BGH NJW 2014, 3527 m. Anm. Pießkalla StRR 2015, 25; s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Die Revisions-HV wird im Zweifel nicht ohne Verteidiger durchgeführt werden dürfen (→ Revision, Verfahren, Teil R Rdn 2846 ff.).

 

Rdn 2830

2.a) Hatte der Angeklagte in der Tatsacheninstanz noch keinen Pflichtverteidiger, stellt sich ggf. die Frage der Bestellung für das Revisionsverfahren. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln des § 140 (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3304 ff. m.w.N.; zur Rückgabe der Sache an das Tatgericht bei einem "offenkundigen Mangel" der Pflichtverteidigung in Form nicht form- und fristgerechter Begründung der Revision BGH, Beschl. v. 5.6.2018 – 4 StR 138/18, StV 2019, 166 [Ls]; Beschl. v. 18.1.2018 – 4 StR 610/17, StraFo 2018, 148; Beschl. v. 16.12.2020 – 2 StR 299/20, NStZ-RR 2021, 79, jew. unter Hinweis auf EGMR, Urt. v. 10.2.2002 – Nr. 38830/97). Nach überw. Ansicht der Lit. (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 350 Rn 10 m.w.N.) ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der hohen Formalisierung des Revisionsverfahrens stets notwendig, die Rechtslage sei (immer) so schwierig, dass der Angeklagte nicht unverteidigt bleiben können. Dem ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck der EU-Richtlinie 2016/343 v. 9.3.2016, die Anlass für die Änderungen in § 350 gewesen ist, zuzustimmen. Allerdings wird sich m.E. die Frage in der Praxis nur selten stellen, da im Zweifel in den Verfahren, in denen Revision eingelegt wird, dem Angeklagten zuvor in der Tatsacheninstanz bereits ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist, für den dann die Ausführungen bei Teil R Rdn 2828 f. gelten.

 

Rdn 2831

b) Schließt man sich den Ausführungen bei Teil R Rdn 2830 nicht an, kommt es für die Bestellung nach § 140 Abs. 2 es auf die "Schwere der Tat" und/oder die "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" (OLG Hamm VRS 113, 57) bzw. auf die "Unfähigkeit zur Selbstverteidigung" (vgl. dazu KG NStZ 2007, 663) an. Zu beachten ist in dem Zusammenhang, dass der dem Angeklagten zur Last gelegte Sachverhalt als Grundlage der Beurteilung in der Revisionsins...

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